Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR 2702 – Das positronische Phantom

PR 2702 – Das positronische Phantom

Titel: PR 2702 – Das positronische Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc A. Herren
Vom Netzwerk:
sein. Die waren ja schon vor Ankunft der Onryonen vermehrt aufgetreten.
    Dennoch ließ ich mich durch den emotionalen Ausbruch nicht beirren und verlangte mit Nachdruck die genauen Baupläne des Rhizoms.
    »Gern«, erwiderte Hannacoy mit wiedergefundener Ruhe und höflichem Lächeln, »aber dann verlange ich im Gegenzug ebenso unbeschränkten Zugang zu terranischen Bauplänen aller – auch militärischer – Art!«
    Ich lehnte geradewegs ab.
    So endete unser Gespräch in einer klassischen Pattsituation.
     
     
    1515 NGZ (Lunare Zeit)
     
    Schon bald feierst du deinen zweiten Geburtstag, meine Kleine. Du torkelst und brabbelst, und es wird nicht mehr lange dauern, bis ich dir die Dinge, die mich beschäftigen, direkt erzählen kann. Aber ich habe mich schon so an meine an dich adressierten Tagebucheinträge gewöhnt, dass ich höchstwahrscheinlich damit weitermachen werde.
    Und wer weiß – wenn ich einmal nicht mehr hier sein sollte, kannst du vielleicht durch diese Einträge erfahren, wer und wie dein alter Herr gewesen ist (zumindest einer der beiden).
    Aber nicht nur du wächst und gedeihst – auch Iacalla wird schnell größer. Zu schnell für die meisten Lunarer. Immer wieder muss ich einschreiten oder Stellung nehmen, weil es Streitigkeiten gibt.
    Unternehmen werfen einander gegenseitig Industriespionage, Datendiebstahl und andere Verbrechen vor. Die Ordnungshüter und juristischen Kräfte haben alle Hände voll zu tun. Sie informieren, schlichten, trennen Streithähne.
    Je mehr sich die beiden Bevölkerungen aneinander reiben, desto stärker werden die kulturellen und sozialen Unterschiede unserer Völker betont.
    Waren wir bisher geeint durch die großen, bedrohlichen Themen Schacht und stärker werdende Beben, trennten uns nun mehr und mehr das wachsende Misstrauen und die sinkende Toleranz.
    Neulich wurden zwei Lunarer in Iacalla verhaftet, weil sie ein Sandwich verzehrten. Bei den Onryonen ist das Aufnehmen und Zerkauen von Nahrung ein intimer Akt wie bei uns beispielsweise der Geschlechtsakt.
    Nun – ich bin sicher, dass die beiden nicht die Ersten waren, die in der onryonischen Stadt öffentlich etwas gegessen haben. Früher hätte dieses Verbrechen höchstens eine Buße nach sich gezogen. Nun wurde den beiden aber ein öffentlichkeitswirksamer Prozess gemacht. Ich musste meine gesamte Autorität einsetzen, um die beiden nach Luna City zurückzuführen und das Strafmaß an unseren Ordnungskatalog anzupassen.
    So gibt es immer neue Brandherde, die ich im Auge behalten muss.
    Und während zwischen heftigen Mondbeben irgendwelche Bagatellen eskalieren, wächst das Techno-Rhizom ungehindert weiter, breitet sich sublunar immer weiter aus.
    Als wir wegen all der Nichtigkeiten kaum mehr Zeit hatten, uns um die wirklich wichtigen Probleme zu kümmern, nahm ich die Verhandlungen mit Fheyrbasd Hannacoy wieder auf.
    Mein onryonisches Pendant schien durch die vielen kleinen Streitigkeiten ebenfalls an die Grenzen seiner Kapazitäten gelangt zu sein.
    Und siehe da: Wir äußerten beide Friedenswillen, und unsere Verhandlungen schritten zügig und gut voran. Jeder von uns zeigte sich in mehreren Punkten kompromissbereit, und so trafen wir uns irgendwo in der Mitte. In einer neuen, terranisch-onryonischen Mitte, mit der wir beide leben konnten.
    Zu meiner großen Überraschung ließ es Hannacoy sogar zu, Iacalla offiziell der terranischen Hoheit zu unterstellen. Damit war es uns möglich, terranisch-onryonische Polizeistreifen durch Iacalla patrouillieren zu lassen, die dafür sorgten, dass Streitigkeiten zwischen Angehörigen beider Völker schnell geschlichtet werden konnten.
    Die Ergebnisse der Verhandlungen brachten mir nicht wenig Applaus und Anerkennung ein.
    Dem politischen Triumph standen aber sehr schnell private Sorgen entgegen. Durch mein Engagement in den Friedensverhandlungen und bei der Bewältigung der anderen Probleme hatte ich kaum mehr Zeit für meine Familie – für dich, geliebte Pri.
    Das wurde mir heute plötzlich bewusst, als ich dir wieder einmal ein Einschlaflied singen wollte. Du wurdest regelrecht böse auf mich und hast nach deiner Mutter und deinem anderen Vater geschrien.
    Es hat mir das Herz gebrochen, als ich an der Tür stand und zusehen musste, wie die anderen beiden dich beruhigt haben und wie du mit einem seligen Lächeln eingeschlafen bist, als sie dir gemeinsam eine Geschichte vorgelesen haben.
    Und so schreibe ich diese Zeilen mit Tränen in den Augen. Wo ist es hin, das

Weitere Kostenlose Bücher