PR Action 22 Feinde Des Lebens
erschöpft von dem Sprung.
Tadran. War ich wirklich so verzweifelt gewesen, dass ich an Tadran gedacht hatte? Bei den Wolkenspringern war immer er es gewesen, der wie ein älterer, vorsichtiger Bruder auftrat.
Versuch immer, genau an den Startpunkt zurückzukehren.
Werd nicht gleich panisch, wenn du nicht weißt, wo du bist. Beschreib die Landschaft um dich herum - wir werden dich schnell abholen.
Das ist uns allen schon passiert...
Ich hörte seine Stimme wieder in meinem Kopf, mit jenem fast väterlichen Tbnfall. Es gab Tage, da hatte ich mich darauf gefreut, sie zu hören, aber es gab noch mehr Tage, wo er mir mit seinem Wunsch nach Kontrolle und Ordnung auf die Nerven gegangen war. Vielleicht war es deswegen bei den Nertisten richtig -Uniformen, Zucht, Ordnung, Aufsicht, Kontrolle.
Ich hatte ihn nie gebraucht, wenn ich zum Himmel emporstieg. Keiner hatte verstanden, warum ich nie Hilfe angefordert hatte, wenn ich nicht am Startpunkt gelandet war. Für mich war er immer nur einen Sprung weit weg gewesen. Ich brauchte nur an einen der Wolkensprin-ger zu denken, die am Absprungort herumlungerten, dann war ich - zack - schon wieder zurück.
Rhodan. Warum war ich mit Betty allein gesprungen? Hatte sie nicht wenigstens versucht, nach ihm zu greifen? Hatte sie ihn absichtlich zurückgelassen - nein, so etwas würde Betty nie tun! Sie würde so viele Dinge nie tun.
Sie war nicht wie mein Bruder und schon gar nicht wie meine Mutter. Sie war auf eine eigenartige Art weise. Sie war verschlossen, eigenartig, still - und dann wieder gab es Ausbrüche von Gefühlen, in denen man Stücke der echten Betty erkennen konnte.
Mit Menschen, die sich verstellten, kannte ich mich aus. Meine Mutter hatte immer erzählt, dass sie ohne Alkohol leben könnte. Immer war es nur ein Glas, um sich zu beruhigen, ein winziger Schluck, um die Arbeit zu vergessen, die Flasche gegen den Staub, der letzte Schluck gegen die Erinnerung an die Träume von einer besseren Welt.
Die Nächte, da Mutter schreiend durch die Wohnung torkelte. Uns beschuldigte, ihren Alkohol versteckt zu haben. Uns anschrie, weil wir an ihrer Lage schuld wären.
Der Geruch nach Alkohol in der Küche, wo sie immer wieder halb leere Flaschen vor uns versteckt hatte. Der Geruch von Erbrochenem, der Geruch des Suffs, der uns aus ihrem Mund entgegenwehte, wenn sie versuchte, einen von uns festzuhalten und anzuschreien.
Mich konnte sie nie fest halten.
Mein Bruder, meine Mutter. Sie sind tot. Nie wieder würde ich das Lachen meines Bruders hören.
Es gab gute Tage mit Mutter. Tage, an denen sie mit uns gespielt hat. Tage, an denen sie uns vorgelesen und mit uns gesungen hat. Machli jal ki rani hai, Jeevan 1iska paani hai, Haath lagao gey, dar jayegi, Bahar nikaalo gey, marjayegi. Einige Takte eines alten Kinderliedes aus der Heimat meiner Vorfahren auf der Erde.
Mutter hatte es manchmal gesungen und uns den Text übersetzt: Die Fischfrau ist die Königin des Wassers, und Wasser ist ihr Leben. Berührst du sie, erschrickt sie. Wenn du sie aus dem Wasser nimmst, wird sie sterben.
S o ging es mir mit B etty. Ich mochte sie. Sie war wie die Königin - eine Terranerin, die alles hatte, was sie wollte. Über 200 Jahre alt, sah sie doch nicht viel älter aus als ich. Aber wenn man sie berührte, dann erschrak sie - und wenn man ihr das Leben nahm, würde sie sterben.
Was hatte sie am Abend erzählen wollen? Ich würde sie später fragen müssen.
Tadran und Betty sprachen immer noch über Funkgeräte, über Politik und die Opulu. Ich kannte das von daheim. Meine Mutter konnte stundenlang über alles reden - Geschwätz über die Nachbarn, Neues aus dem Viertel, Geschichten, die sie gehört oder selbst erlebt hatte.
Aber kein Wort über Alkohol und kein Wort darüber, dass die Küche leer war und mein Bruder und ich seit Tagen bei den Nachbarn Kleinigkeiten zugesteckt bekamen, wenn wir denn auftauchten.
Vor Scham, vor falsch verstandener Zurückhaltung verteidigten wir Mutter noch, als jeder wusste, dass sie trank. Nur wir beide gaben es nicht zu.
Wir standen immer noch mitten im Nirgendwo und hatten keine Nahrung.
»Hunger!«
Die beiden schauten mich verwirrt an.
»Ich habe Hunger. Ich habe Durst. Und ich will hier weg.«
Betty schaute mich fragend an. Wahrscheinlich dachte sie darüber nach, warum ich nicht einfach sprang. Ich wusste nicht, wo ich eine Boje finden würde, die nicht gerade unter der Todesstrahlung litt. Dann würde ich wohl kaum die Kraft aufbringen,
Weitere Kostenlose Bücher