PR Andromeda 04 - Die Sternenhorcher
und mit einer Plane abgedeckt: vier große Platten Solarzellen, vielleicht die einzigen funktionsfähigen auf ganz Thirdal. Martan hatte sie damals von Attorua mitgebracht.
Shevek stellte solargetriebene Spielzeuge her. Seine Maschinchen , so nannte er sie.
Martans ältester Freund war ein Eigenbrötler, der gern in seiner eigenen Welt lebte. Darum hatte er sich diese riesige Halle mit dem durchsichtigen Dach zum Wohnen ausgesucht. Sie war oval, vierstöckig, mit lauter kleinen Einbuchtungen auf den Wandelgängen. In den Zeiten der Altvorderen waren hier lauter kleine Werkstätten angesiedelt gewesen, und noch früher sollte es sich, so stand es jedenfalls auf der verwitterten Holztafel, die ein Freies Komitee für Alltagsgeschichte angebracht hatte, um einen Konsum-Tempel gehandelt haben, ein so genanntes Einkaufs-Zentrum. Hell, offen, mit Springbrunnen und einem künstlich angelegten Bach im Erdgeschoss, der natürlich längst ausgetrocknet war.
Früher, in vorrevolutionären Zeiten, mochten die Leute so etwas schön gefunden haben. Später, in nachrevolutionären Zeiten, mochten die Leute hier gewohnt und gearbeitet haben. Aber die charandidische Bauweise hatte sich weiter verändert; sie war, wie auch die charandidische Kultur, wilder geworden.
Die Leute hockten nicht mehr gern so eng aufeinander, und übereinander schon gar nicht. Die Leute schätzten Lichtungen, offene Räume, durch die Wind und Sonne fahren konnten, wie sie wollten. Die Leute schätzten große Gärten und kleine Häuser, die sie sich mit den Hausameisen teilten und mit allem, was sonst noch für gute Schwingungen sorgte.
So hatte dieses Einkaufs-Zentrum, dieser Horst von Werkstätten, lange leer gestanden. Bis eines Tages, kurz nach seinem achten Geburtstag, Shevek eingezogen war. Shevek war glücklich hier. Hier konnten seine Spielzeuge herumkrabbeln, ohne dass sie jemand als hässlich oder obszön verschrie. Manchmal kamen ein paar Kinder her und sahen sich um. Aber meistens hatte Shevek hier seine Ruhe. Er hatte sogar einige spinnenartige Putzteufelchen konstruiert, die oben auf dem Glasdach ihre Bahnen zogen und die Scheiben putzten. So sauber, behauptete er, sei das Dach nicht einmal zu vorrevolutionären Zeiten gewesen.
»Hast du was zu beißen da?«, fragte Martan. »Mann, ich hab noch nicht mal gefrühstückt!«
»Ich kann uns gleich was machen«, sagte Shevek. »Moment.« Und tatsächlich, nur einen Moment später verschwand er in der Küche, in der sein größter Schatz stand, unter alten, schmutzigen Grombirsäcken verborgen: sein fahrradgetriebener Computer. Zehn Minuten lang Treten für eine halbe Stunde Computerei. Eine halbe Stunde lang Treten für zehn Minuten Zugang zum galaktischen Netzwerk. Als Jungen hatten sie sehr kräftige Waden bekommen.
Martan schloss die Augen. Nebenan klapperte Shevek herum. Öl fing in einer Pfanne an zu brutzeln.
Martan war noch immer völlig fertig. Geisterhaft sah er die Szene im Wald der Ahnungslosen vor sich. Kompost-Piets blasses, schweißnasses Gesicht, die Augen halb geöffnet und verdreht. Das Erbrochene in Ani Gompas kurzem Vollbart, die schon wieder bei Bewusstsein war und sich verstört umschaute, gegen einen umgefallenen Stuhl gelehnt.
Ani Gompa war die älteste, weiseste Muntere, die bei ihnen im Garten lebte. Tatsächlich hatte sie diesen Garten überhaupt erst entdeckt. Bei einem seiner Besuche hatte Martan dann Lily Yo kennen und lieben gelernt. Und war schließlich hierher gezogen, als seine Genossin sich entschlossen hatte, ihre Tochter auszutragen. So war er Laila Damas Vater geworden.
Ani Gompa, das bräunliche Hutzelweib mit den dicken weißen Haaren, das ihn geboren hatte, kannte das Leben. Sie war über dreihundert Jahre alt. Sie konnte nichts mehr erschüttern.
Hatte er jedenfalls gedacht.
Dieser Geruch von Erbrochenem, der unter der Kuppel gehangen hatte. Dieser Geruch von Angst. Vermischt mit dem schweren Duft der Räucherstäbchen, dem frischen, süßen Duft des Frühstücks.
Milliarden Tote, hatten sie gesagt. Milliardenfaches Leid. Überall in der Galaxis.
Kein Krieg zwischen befeindeten Profitlern, hatten sie gesagt. Eine Invasion!
»So«, sagte Shevek neben ihm.
Martan öffnete die Augen. Shevek stellte gerade ein großes, rundes Tablett vor ihm ab. Um einen Teller mit einem frisch gebratenen, aufgeblähten Fladenbrot waren lauter Schälchen mit eingelegten Gemüsen und verschiedenen Sorten Nussmus angerichtet. Am Rand standen zwei Becher und ein Krug
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