PR Ara-Toxin 03 - Nekrogenesis
honigblonden Haare reichten ihr noch immer bis zu den Hüften. Die beiden fielen einander in die Arme, küssten sich und schliefen noch in der gleichen Nacht miteinander. Es war wie damals. Aber es gab einen Unterschied: Sie hatten keine Zukunftspläne mehr.
Es kamen nicht 50.000 Besucher, sondern mehr als 100.000. Alle hatten ihre beste und bunteste Kleidung angelegt, sich grell geschminkt und trugen allen Schmuck, den sie besaßen. Und sie waren fröhlich, von der ersten Minute ihrer Ankunft an. Sie fielen Wildfremden um den Hals, küssten einander und lachten. Und wenn jemand weinte, dann aus Freude über das beginnende Fest.
Einige, die schon sehr krank waren, schleppten sich auf Krücken heran oder saßen in Antigravstühlen. Aber auch sie scherzten und lachten, als gäbe es diese Krücken und schwebenden Krankenstühle nicht, als sei der Tod eine ferne Fata Morgana.
Die meisten brachten ihre letzten Vorräte an Rum, Colocadossaft -natürlich von der besten Schicht - und fermentierten Colocadosblättern mit. In den Bewirtungscontainern standen weitere Rauschmittel aller Art zur Verfügung.
Marco hatte Lampenfieber, als er sich der Menge stellte. Das war etwas ganz anderes, als in eine Kamera zu schauen. Das war die Konfrontation. Die Konfrontation mit Menschen, die unausweichlich in den nächsten Stunden, Tagen, spätestens einigen Wochen sterben mussten. Und er hatte sie überredet, hierher zu kommen. Er konnte sich ihnen nicht entziehen.
Beinahe schüchtern trat er um 16.00 Uhr auf das Podium der Hauptbühne. Ein Beifallsorkan begrüßte ihn. Hüte flogen in die Luft. Verstört nahm er zur Kenntnis, dass ihn dank der Trivid-Sendungen offenbar jeder kannte. Und offensichtlich auch mochte.
Erst nach Minuten kehrte wieder halbwegs Ruhe ein.
»Companeros! Remiona! Freunde!«, rief Marco den Besuchern zu. Mikrosensoren an seinem bunten Hemd übertrugen seine Worte bis in den fernsten Winkel des von Menschen übersäten Festivalgeländes, sein Gesicht war auf allen Holoschirmen zu sehen. »Ich will mich kurz fassen. Wir feiern gemeinsam das Festival der Lebendigen, und wir wollen an diesem Tag über nichts anderes nachdenken als über die Freude am Leben. Danach mag kommen, was will! Feiert und seid fröhlich. Ich bin es auch.«
Er winkte ihnen lachend zu und trat von der Bühne, begleitet vom Jubel der Anwesenden. Auf der zweiten Bühne begann die erste Steelband zu spielen. Auf der dritten Bühne legten sich Bodenakrobaten und Clowns ins Zeug, die von einem Zirkus stammten, der zu anderen Planeten hatte aufbrechen wollen, aber nicht mehr dazu gekommen war.
Im Publikum wurde wild getanzt. Rumflaschen wurden herumgereicht, Colocadosdrinks angeboten, cigarillos - normale und gehaltvollere - entzündet.
Auf der Hauptbühne präsentierte sich eine aus 20 Mitgliedern bestehende Band, die Elemente verschiedener Stilrichtungen miteinander verschmolz, wobei Steeldrums und Elektrogitarren die Basis bildeten.
Die verschiedenen Holoschirme zeigten die beiden Bands, die Zirkusleute sowie betörende Aufnahmen von den einstigen Naturschönheiten des Planeten, unterlegt mit uralter klassischer Musik. Die Masse der Festivalbesucher war in stetiger Bewegung, um abwechselnd eine der Darbietungen zu genießen. Viele tanzten.
Die Ersten hatten sich bereits eines Teils oder ihrer gesamten Kleidung entledigt und bewegten sich ekstatisch. Die ersten Pärchen verschwanden in Richtung der Wohncontainer oder der Hacienda.
Dutzende von Kapellen traten im Laufe des späten Nachmittags und Abends auf, und jede wurde begeistert gefeiert. Die Begeisterung ließ nicht nach, sondern steigerte sich von Band zu Band, von Stück zu Stück.
Um 23.00 Uhr trat Voodoo Tattoo als letzte Band auf und wurde frenetisch bejubelt. Sie spielte natürlich auf der Hauptbühne, und auf den anderen Bühnen gab es keine Konkurrenz mehr. Alle Holoschirme zeigten jetzt nur noch das Konzert der remionischen Kultgruppe.
Die Bandmitglieder - drei Gitarristen, ein Drummer und ein Sänger - traten mit nacktem Oberkörper auf. Sie machten dem Bandname alle Ehre: Brust, Rücken, Arme und sogar die Gesichter unter den üppigen Lockenköpfen waren dicht an dicht mit wüsten Tätowierungen versehen, die Symbole und Geister des Voodoo darstellten.
Ohne jede Begrüßung legten sie sofort los, als die Scheinwerfer sich auf sie richteten. Sie boten düsteren, wilden Rock mit jaulenden Gitarren, und der Sänger zelebrierte wahre Veitstänze, während er zynische und
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