PR Ara-Toxin 04 - Die Eiserne Karawane
Frage: Was ist Leben?«
»Was« - gab Supante die Frage mit einer dramatischen Pause an alle Anwesenden weiter - »ist Leben?«
Die folgende Diskussion wendete den Begriff nun in jede denkbare Richtung. Das Leben als Phänomen der Selbstregulierung und Re-produktion, seine präbiotischen, biotischen und - Poola Autskin und anderen Neuroconszientisten sei Dank - denkbaren postbiotischen Erscheinungsformen; das Leben als bloße Optik, als vielleicht völlig irrige Betrachtungsweise, die eine eigentlich unzulässige Grenze zwischen dem Biotischen und dem A-Biotischen zog. Der Tropfen Leben und seine Bedeutungslosigkeit für den ungeheuren Ozean von Werden und Vergehen; Leben als Aneignung, als rücksichtlose Einverleibung des Lebendigen, als in sich kreisendes Mord-Verfahren. Leben wäre zu definieren als Born der Lust, Quell des Leidens.
Fast alle hatten sich am Gespräch beteiligt, nur Supante und Meharro hatten geschwiegen.
»Naive Zivilisationen fragen: Warum muss das Leid über uns kommen, Siechtum und Tod? Wie hat die Evolution uns dergleichen antun können?« Supante lachte sein raschelndes, papierenes Lachen. »Was wissen wir? Wir wissen: Die Evolution ist kein Kalkulator. Sie besitzt keinen Geist - auch wenn mein verehrter Kollege da Galgai es Ihnen einreden will. Als säße inmitten der großen Maschine Evolution ein kleiner Geist, der - schuhu, schuhu! - mit allerlei Schablonen und Logarithmentafeln Konzepte für neue Kreaturen entwirft. Aber überlassen wir alles Klein-Geistige der Experimentellen Evolution.
Die Evolution kalkuliert nicht, rechnet nicht, plant nicht. Deswegen klagt sie auch nicht an, deswegen verhängt sie nicht, und deswegen macht sie keine Fehler. Sie bietet ihrer Umweltbedingung blind und absichtslos eine große Bandbreite von Möglichkeiten an. Das am besten Passende überlebt und setzt sich fort. Demzufolge ist ein Jedes, das ist.« Er ließ den Satz wieder offen und blickte in die Runde.
Als er Trantipon anschaute, antwortete der: »... die Bestmöglichkeit seiner selbst.«
Jemand lachte spöttisch.
»Meharro. Sie sind anderer Meinung als Ihr Mitheiler Trantipon?« »Der Satz, wie ihn der geschätzte Trantipon formuliert, bleibt immer noch unvollständig«, erklärte Meharro. »Er müsste heißen: Dem zufolge ist ein Jedes, das ist, die Bestmöglichkeit seiner selbst unter den gegebenen Bedingungen.«
»Sie kleinlicher Besserwisser«, ätzte Supante. »Von welchen Bedingungen als den gegebenen könnte man sinnvoll als von den Bedingungen reden?«
»Von keinen anderen«, gab Meharro zu. »Aber der unvollständige Satz verstellt den Blick auf eine interessante Perspektive.«
»Nämlich welche?«
»Dass man die Bedingungen ändern könnte, um eine neue Best-heit dessen zu erzielen, was ist.«
»Dessen, was ist?«, zitierte Supante mit einem maliziösen Lächeln.
»Dessen, was sein wird«, korrigierte sich Meharro.
Supantes Lächeln vertiefte sich. »Es könnte etwas aus Ihnen werden, mein lieber Meharro. Unter den geeigneten Bedingungen.«
»Könnte ich mir bessere Bedingungen wünschen als diese hier?«
»Arschkriechern«, sagte Supante, »könnte man zweifellos keine idealeren Bedingungen bieten als diese hier. Aber ist es wirklich Ihre ernste und innigste Absicht, mir in Zukunft in den Arsch zu kriechen?«
»Sie wissen nicht, wie gut ich krieche«, sagte Meharro und lachte. Supante stimmte ein.
Leise und nur zu Trantipon gewandt fuhr Meharro fort: »Und er weiß nicht, welche Ausgänge aus seinen Gedärmen wir uns suchen würden«, als wären er, Trantipon und die anderen ihres Clubs als Seilschaft ins Innere des Medophilosophen unterwegs.
»Ich vermute, dass die Rede von einem Intimkontakt eher bildlich gemeint ist«, meldete sich die Positronik.
»Ja. So weit die Erinnerung reicht. Ich kann allerdings nicht für eine bloße Bildlichkeit bürgen, was Ostiam Meharro angeht. Mehar-ro schöpfte alle Möglichkeiten des Lebendigen aus.«
Das damalige Gespräch ging noch weiter. Supante.
.meditierte über den Tod als Errungenschaft des Lebens, darüber, dass einfachste Lebewesen zum Tod noch nicht befähigt sind. »Erst komplexere biologische Entitäten verfügen über ihn - sage ich, denn der Tod wird nicht als Antagonist des Lebens erfunden, sondern steht in seinen Diensten.
Wir müssen uns fragen: Was würde ein ewiges Leben, was würde Unsterblichkeit für das Leben bedeuten?
Wir antworten uns: Das ewige Leben würde den Rahmen des physikalisch Möglichen
Weitere Kostenlose Bücher