PR Ara-Toxin 05 - Die Trümmerbrücke
angeeignet hatte - ihr Zeitbegriff verlor sich im Nebel vager Erinnerung, und »sehr schnell«, das erkannte sie erschrocken, konnte eigentlich alles bedeuten - ohne diese Eigenschaft hätte sie nicht lange überlebt. Sie rüttelte an dem Zylinder, bewegte ihn ruckartig hin und her, als könne sie ihn nur auf diese Weise aus seiner Verankerung lösen, und nahm vorübergehend sogar weitgehend Blindheit in Kauf, als sie auch mit der linken Hand zupackte.
Die Pergamenthaut ihrer Arme knisterte.
Medira züngelte, um Schweiß abzubauen. Zugleich schmeckte sie den eigentümlichen Geruch des Kolbens, der intensiver auf ihrer Zunge brannte, je verbissener sie an dem Material zerrte. Sie roch eine Mischung aus Kunststoff und Metall-Legierung. Etwas sehr Altes jedenfalls, denn sie schmeckte auch den an der Oberfläche verkrusteten Staub.
Sie verstärkte ihre Bemühungen. Der Zylinder splitterte, und die plötzlich scharfen Kanten schnitten ihre Handflächen und die Finger auf. Wie Feuer raste der Schmerz ihre Arme entlang. Ihre Hände wurden klebrig feucht. Der warme Eisengeruch des Blutes schüttelte sie, und obwohl sie mit den aufgeschnittenen Fingerspitzen kaum noch sehen konnte, registrierte sie einen Eindruck von düsterem Rot.
Sie glaubte sogar, die unzähligen winzigen Nanokörper zu riechen, die mit jedem Pulsschlag aus den Schnittwunden hervorquollen und sich an der Haut verankerten. Natürlich begannen die Maschinen sofort mit der Reparatur, unsichtbar und nicht wahrzunehmen, aber effektiv.
Mediras Erinnerung an den Anschlag kehrte zurück:
Vielfältige Gerüche. Blut überall. Und Tote; grässlich entstellte Körper, Menschen, die eben noch mit ihr diskutiert und gearbeitet hatten. Ohne jede Vorwarnung hatte sich die Explosion ereignet, begleitet von einem harten Strahlenschauer. Wen die umherfliegenden Splitter nicht durchbohrt hatten, den würde die Strahlung umbringen. Nicht sofort, aber innerhalb weniger Tage und äußerst qualvoll.
Medira hatte nicht die Kraft zu schreien. Sie flehte um Hilfe, wimmerte. Ihr Körper war eine einzige tobende Wunde.
Nach einer Weile erschien ein lächelndes Gesicht über ihr. Engelsgleich modelliert, beugte es sich aus der Höhe herab. Sie sah eine hohe Stirn mit zentimeterkurz geschnittenem Haar, vor allem aber die blauen Augen, die sie musterten, als wollten sie sich nie wieder
von ihr abwenden.
Schließlich die Berührung des Fremden. Er hatte lange schlanke Finger mit gepflegten Nägeln. Jedes noch so unscheinbare Detail saugte Medira in sich auf; sie klammerte sich mit aller Kraft an ihr schwindendes Leben, wollte noch einmal mit allen Sinnen genießen.
Die Finger tasteten über ihre Schläfen, glitten tiefer, verharrten hinter ihren Ohren und drückten sanft auf die Halsschlagader. »Du wirst in einen tiefen Schlaf versinken«, sagte das Engelsgesicht mit einschmeichelnder Stimme, die es ihr noch schwerer machte, loszulassen. »Wenn du wieder aufwachst, werden deine Schmerzen vergangen sein. und. du.«
Medira spürte, dass etwas von diesen Fingern auf sie übersprang, und was immer das sein mochte, es tat ihr gut.
». wirst dich. an das Schlimme. kaum mehr. erinnern.«
Immer weiter von ihr weg erklang diese Stimme, immer stockender, als dehne sich die Zeit ins Endlose. Der Mann, erkannte Medira mit vernebelten Sinnen, war ein Medoroboter. Und endlich verstand sie, dass der Roboter ihr ein starkes schmerzstillendes Medikament und wer weiß was außerdem injiziert hatte.
Eine lähmende Müdigkeit kroch durch ihren Körper.
Medira wollte nach der feingliedrigen Hand greifen, sie festhalten, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht mehr.
Was blieb, war ein konstantes dumpfes Summen, ein schwereloses Schweben zwischen Traum und Wachsein. Ein seltsamer Zustand, in dem Medira den eigenen Herzschlag nicht mehr wahrnahm, nur dieses leise Summen unter ihrer Schädeldecke.
Irgendwann stach grelle Helligkeit in ihre Augen.
Später kamen Stimmen hinzu.
Viele Hände tasteten über ihren Körper. Fest und fordernd, als wühlten sie sich durch ihr Fleisch hindurch. Aber da waren auch kaum wahrnehmbare Berührungen. Das alles löste wohlige Schauder aus und ebenso Erschrecken, als ein bleicher eiförmiger Schädel sich über sie beugte und der sezierende Blick roter Augen sich an ihr
festfraß.
Ein Ara, einer der Galaktischen Mediziner, von denen Medira McRoven immer nur gehört hatte. Für mehr als einen bestenfalls zwiespältigen Eindruck hatte es bei ihr nie gereicht.
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