PR Ara Toxin 6 Der Unlichtplanet
Gästen im Anflug war. Mehr als zwanzig Personen waren es; honorige Geschäftsleute und Politiker des tefrodischen Tamrats. Sie alle kümmerten ihn nicht, waren bloß Staffage in diesem überaus reizvollen Zusammentreffen mit der frisch erkorenen Wissenschaftsrätin des Reiches namens Silby-Ohnet.
Der Name war ohne Bedeutung. Wichtig war die Person, die dahinterstand: Faktor I, Mirona Thetin.
»Es ist mir eine besondere Ehre«, sagte Aset-Radol und verbeugte sich vor der Frau. »Ich habe nur Gutes von Ihnen gehört.«
»Sie sind nicht der Erste, der mir schmeichelt«, antwortete Silby-Ohnet unbeeindruckt. Sie nippte am Fruchtcocktail und fügte schmallippig hinzu: »Immerhin: Noch schmeichelt man mir. Doch das politische Barometer ist kein besonders zuverlässiges Messinstrument. Ein kleiner Fehler, eine falsche Entscheidung, und schon ist es um meine Karriere geschehen.«
»Ich habe mich aus gutem Grund niemals in politische Angelegenheiten eingemischt.« Aset-Radol lachte, obwohl es keinerlei Grund dafür gab. »Mich interessiert lediglich, ob die Geschäfte laufen -und auch das nur am Rande. Warum sollte ich sonst ganze Heerscharen an sündteuren Vermögensverwaltern und Managern bezahlen?«
Jene Anwesenden, die ihn und Faktor I umringten, lächelten gequält; sie entfernten sich nach und nach und fanden sich andernorts zu kleineren Gesprächsrunden zusammen. Aset-Radol spielte seine Rolle hervorragend. Niemand würde hinter der Maske des gelangweilten Dandys einen der geheimnisvollen Beherrscher weiter Bereiche der Karahol-Galaxis vermuten. Niemand - außer der Frau vor ihm.
»Mir wurden viele Geschichten und Geschichtchen über Ihren sagenhaften Reichtum zugetragen«, sagte Silby-Ohnet. »Und ich muss zugeben: Ich bin von Ihrem Anwesen beeindruckt.«
»Ja, hier waren die besten Architekten am Werk, und ich habe das nötige Kleingeld investiert. Aber reden wir doch lieber von Ihnen: Wie kommt ein solch bezauberndes Persönchen dazu, Tamrätin für Wissenschaft und Entwicklung zu werden? Welche Agenden obliegen Ihnen?«
Für einen Moment kam die wahre Mirona Thetin hinter der Maske zum Vorschein. Ihr musternder Blick war von ungewöhnlicher Intensität. Sie wusste sehr wohl, dass sie einen ihrer »Kollegen« im geheimen Rat der Meister der Insel vor sich hatte. Ihre Anwesenheit hier hatte sicherlich den einen Grund, seine Tarnidentität zu überprüfen und nach Schwächen zu suchen, die sie für ihre Ränkespiele nutzen konnte. Doch sie ahnte keinesfalls, dass er sie längst als Faktor I identifiziert hatte.
»Es ist eine verantwortungsvolle Pflicht«, antwortete Silby-Ohnet nach kurzer Nachdenkpause. »Mein Aufgabenbereich konzentriert sich in erster Linie darauf, die Kapazitäten der bedeutendsten Wissenschaftler des Imperiums zu bündeln und ihre Ideen in die Praxis umsetzen zu lassen. Es handelt sich um nahezu fünftausend Frauen und Männer, die sich den Natur- und Geisteswissenschaften verschrieben haben.« Silby-Ohnet runzelte die Stirn. »Wie Sie vielleicht wissen, droht - zu meinem großen Bedauern - ein weiterer Krieg am Horizont. Mir obliegt es derzeit, neue Waffensysteme entwickeln und testen zu lassen. Eine undankbare, eine traurige Arbeit. Viel lieber wäre es mir, könnte ich mich auf friedliche Herausforderungen konzentrieren.«
Silby-Ohnet alias Mirona Thetin log, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie selbst hatte diesen Krieg befohlen.
»Ich verstehe. Darf ich Ihnen nachschenken?« Aset-Radol schnippte einen Schwebediener mit gefüllten Gläsern herbei und reichte ihr einen weiteren Cocktail. Sie nickte ihm dankend zu.
Er berührte Faktor I an der nackten Schulter und schob sie vor sich her zur Brüstung des Südturms. Unter ihnen wogten grell leuchtende Nebelschwaden. Immer wieder bildeten sie Gesichter und Figuren aus altlemurischen Heldensagen und stellten kurze Szenen aus über Jahrtausende hinweg tradierten Epen nach. Unter den Ahs und Ohs der begeisterten Zuseher entstand das Schlachtenbild »An Halms Sternenklippe«, um gleich darauf von »Liloms Kampf gegen den Awachen« abgelöst zu werden.
Derlei Schauspiele wurden nur noch selten gezeigt. Mit subtilen Botschaften, die über Medien verbreitet wurden, sorgten die Meister der Insel dafür, dass die Helden der Vergangenheit allmählich in Vergessenheit gerieten. Ein Teil ihres Langzeitplans war es, Platz für neue Mythen zu schaffen; solche, die ihnen galten.
Die Nebelbilder verzogen sich zu Schlieren, die Lichter erloschen.
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