PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
existierte nicht mehr. Wo das Tor zu anderen Welten gewesen war, wirkte der Boden dunkel, fast schwarz. Und die umgestürzten Statuen blickten starr in den Himmel. Neben einem der steinernen Riesen hockte eine gesichtslose Puppe. Schon ihre angespannte Haltung verriet, dass Leben in ihr war.
»Du weißt, wer ich bin?«, begann Callibso.
»Natürlich«, antwortete die Puppe monoton.
»Wie heißt du?«
»Ich bin Chartour.«
»Worauf wartest du, Chartour?«
Langsam hob die Puppe einen Arm. Sie deutete auf den erloschenen Zeitbrunnen. »Sobald er wieder aktiv wird, wollen wir Derogwanien verlassen. Ich beobachte ihn.«
Die Vorstellung, dass diese seelenlosen Puppen andere Welten heimsuchen würden, womöglich gar die Erde, entsetzte den Transmittergeschädigten.
Ganerc-Callibso fragte nach dem Schlüssel. Aber erst als er eine fassförmige Silhouette in den Boden ritzte, erfuhr er, dass die Puppen einen solchen Gegenstand gefunden und in ihr Ideelles Zentrum gebracht hatten.
In der Nähe der Puppe reagierte das Cappin-Fragment wieder heftiger. Alaska spürte eine wachsende Unruhe. Wenn der Organklumpen auf diese Geschöpfe reagierte, verfügten sie über gefährliche Fähigkeiten. Im Grunde traute er ihnen nicht weiter, als er sie sehen konnte.
Ganerc-Callibso gab der Puppe den Befehl, den gesuchten Schlüssel herbeizuschaffen. Sie erhob sich auch — warf sich aber im nächsten Moment herum und griff den Zeitlosen an. Entsetzt registrierte Alaska, dass Callibso sich nicht wehrte. Chartour riss den ehemaligen Mächtigen von den Beinen und wälzte sich auf ihn.
Augenblicke später packte Saedelaere die Puppe im Nacken und versuchte, sie von ihrem Opfer herunterzuzerren. Es gelang ihm erst beim zweiten Versuch. Aber schon griff Chartour erneut an — wie eine Maschine, die stur ihrem programmierten Ziel folgte.
Alaska riss seinen Impulsstrahler hoch.
»Nicht schießen!«, stöhnte Ganerc-Callibso. »Was sie belebt, ist ein Teil von mir.«
Die Puppe starrte den Maskenträger dennoch unverhohlen zornig an.
»Sind alle so wild?«, fragte Saedelaere.
»Wahrscheinlich«, antwortete der Zwerg. »Sie werden nichts freiwillig herausgeben, schon gar nicht den Zusatzschlüssel für das Auge.«
Kurze Zeit später stiegen sie wieder zur Stadt hinab. Alaska beobachtete jede Regung des Fragments. Obwohl seine Ausstrahlung nicht greller wurde, zuckte es manchmal heftig unter der Maske.
Eine unheimliche Stille schien über der Stadt zu liegen, aber schon hinter den ersten Gebäuden erklang leises, schmerzvolles Wimmern. Ganerc-Callibso schritt plötzlich schneller aus. Er achtete nicht auf Saedelaeres Warnung. Ohne zu zögern, betrat er das Haus, aus dem die merkwürdigen Laute auf die Straße drangen.
Es roch muffig im Innern. Aus umherstehenden Schalen wogten Dämpfe auf. In einer dieser Schalen lag eine nackte Puppe. Ihr unfertiger Körper schimmerte wie altes Elfenbein. Vor allem besaß sie nicht die bösartige Aura der anderen.
»Das ist Mardyn«, stellte sie Ganerc-Callibso vor. »Sie konnte den anderen bis jetzt entkommen. Ihre Artgenossen feiern einen Sieg, aber danach werden sie die Jagd von neuem eröffnen. Auf alle, die nicht so sind wie sie.«
Durch einen Zufall mochte Mardyn einen größeren Anteil von Ganercs psychischer Kraft aufgenommen haben als die anderen Puppen. Alaska dachte an die seltsame Prozession und die Überreste, die die vier Anführer getragen hatten. Waren sie Zeugen des Endes einer harmlosen Puppe geworden?
Alaska versuchte mit Mardyn zu reden. »Wir wollen dir helfen«, begann er stockend.
»Dafür müsstet ihr mich nur von hier wegbringen.«
»Es geht auch um die anderen.«
»Sie wollen Tod und Vernichtung!«, rief Mardyn aufgebracht. »Würde der Zeitbrunnen noch funktionieren, hätten sie Derogwanien längst verlassen. Aber nun sehen sie eine neue Chance. Sie wollen das Raumschiff.«
»Keine Puppe könnte die Lichtzelle bewegen«, widersprach Ganerc-Callibso heftig.
Mardyn lachte leise. »Wir haben nicht nur einen Teil deines Über-Ich, sondern auch dein Wissen«, behauptete sie.
»Gibt es mehr Puppen wie dich?«, wollte Saedelaere wissen.
»Ich glaube nicht. Vielleicht bin ich die letzte positive Puppe.«
Sie brachten Mardyn an Bord der Lichtzelle. Niemand behinderte sie, als sie die Stadt wieder verließen. Die fünf Monde überschütteten das Land bereits mit einem unwirklichen Schein, und in der Stadt schienen nach und nach Tausende von Fackeln aufzuflackern.
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