PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
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Warum?
8.
Wie ein gleißender Teppich erstreckte sich das Lichtermeer der Stadt vor ihm — eine berauschende Helligkeit, die nur eine vage Ahnung der Nacht übrig ließ, eine Hand voll besonders heller Sterne im Zenit und, hinter dünnen Wolkenschleiern verborgen, den fahlen Widerschein des Mondes.
Die Panoramaverglasung spiegelte. Alaska Saedelaere sah im Hintergrund, in der von schwebenden Spots ausgeleuchteten Kochlandschaft, Liv hantieren, er hatte zudem ein verzerrtes Abbild seiner selbst vor sich. Wie ein durchscheinendes, ätherisches Wesen, in dessen Adern nicht Blut pulsierte, sondern Gleiter ihre Bahn zogen und dessen Haut von grell pulsierenden Reklameholos pigmentiert wurde.
Nur der fast ovale graue Fleck überdeckte den fernen Hintergrund.
Eine Totenfratze, schoss es Saedelaere durch den Sinn, ohne dass er den Gedanken verhindern konnte. Die Maske war ausdruckslos starr, das Flackern in den Augenöffnungen erinnerte an billige Gruselholos, in denen ähnliche Effekte geboten wurden.
Ob ich mich jemals daran gewöhnen kann, weiß ich nicht.
Hinter ihm klirrten Gläser. Alaska trat so nahe an die Scheibe heran, dass der Eindruck entstand, er würde mit dem nächsten Schritt ins Leere stürzen. Dreiundfünfzig Etagen ... Livs großzügige Wohnung lag in einem der modernen spindelförmigen Bauten, auf der Höhe des größten Durchmessers. Die freie Sicht machte solche Stockwerke zu begehrten Immobilien.
Gedankenverloren presste Saedelaere die Stirn an die Scheibe. Dass die Maske verkantete und plötzlich an mehreren Stellen drückte, beachtete er nicht. Er schielte in die Tiefe, sah Menschen und Fahrzeuge klein wie Ameisen — und genoss die Vorstellung, einfach nach vorne zu treten, die Arme auszubreiten und sich abzustoßen, zu wissen, dass innerhalb von Sekunden alle Zweifel und die Ungewissheit enden würden. Unwillkürlich atmete er schneller.
»Alaska ... «
Von weit her drang die Stimme in sein Bewusstsein vor. Er ignorierte sie, genoss immer noch den Gedanken, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Den Tod zu akzeptieren fiel ihm ungewöhnlich leicht. Besser, er selbst starb, als dass er erneut Menschen in Gefahr brachte.
»Ich bin überzeugt, Mr. Saedelaere, dass Sie Ihr Leben in die Hand nehmen und das Beste daraus machen werden.« Dr. Bishars Abschiedsworte klangen in ihm nach. Vielleicht, weil er schon nach einem Tag das wohl geordnete Klinikleben vermisste. Es war wie immer im Leben: Zu schätzen wusste man erst die Dinge, die man verloren hatte.
»Auf die Zukunft, Alaska. Ob mit oder ohne Maske, ist mir egal. Ich finde ... — Hörst du überhaupt zu?«
»Doch«, murmelte er verwirrt, löste die Stirn von der Scheibe und wollte sich mit beiden Händen übers Gesicht fahren. Erst als die Finger auf das harte Plastik stießen, besann er sich.
»Ich bin froh, Alaska, dass du hier bist. Mimas war für mich eine kalte Welt, die ich auf Dauer nicht ertragen könnte. Wir schaffen es. Gemeinsam.«
Der Transmittergeschädigte schaute die junge Frau an. Zögernd schüttelte er den Kopf.
»Ich bin dir im Weg«, sagte er stockend. »Ein Klotz am Bein, ohne den du glücklich werden könntest. Deshalb werde ich deine Gastfreundschaft nur für einige Tage in Anspruch nehmen. Bis ich mir darüber klar geworden bin, was mit meinem Leben geschehen muss.«
Liv Andamans Lächeln gefror. Sie zitterte plötzlich. Der Sekt in den Gläsern, die sie in beiden Händen hielt, drohte überzuschwappen. »Gastfreundschaft?«, stieß sie ungläubig hervor. »Das meinst du nicht ernst? Ich ... ich möchte mit dir zusammen ... «
»Sag's nicht!«, wehrte Saedelaere ab. »Wahrscheinlich würdest du es schon morgen bereuen, und dann ... «
Die Gläser zerplatzten am Boden, der venusische Sekt hinterließ dunkelrote Flecken. Mit offenem Mund starrte Liv den Maskenträger an und schien auf eine Entschuldigung zu warten. Als Alaska hartnäckig schwieg, warf sie sich herum und stürmte davon. Dröhnend schlug eine Tür zu. Dann herrschte Stille.
Sekundenlang stand Saedelaere wie erstarrt, bevor er ausholte und in blinder Ohnmacht mit der Handkante gegen die Scheibe drosch. »Liv!«, wollte er rufen, doch er konnte es nicht. Beinahe fluchtartig verließ er die Wohnung.
Terrania City war ein brodelnder Wurmtopf, in dem das überschäumende Leben nie eine Pause einlegte. So hatte Alaska Saedelaere seine Geburtsstadt seit frühester Jugend in Erinnerung, und
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