PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
an der pulsierenden Vielfalt hatte sich bis heute nichts geändert. Wie ein unersättlicher Moloch fraß sich die Stadt immer weiter hinaus in die ehemalige Wüste Gobi. Der einst von einer Privatfirma betriebene Schrottplatz, an den er sich gerne erinnerte, war ebenso der fortschreitenden Bebauung zum Opfer gefallen wie der Waldstreifen, von dem heute nur noch kleine Abschnitte als Parks dienten.
Saedelaere benutzte den transparenten Antigravlift an der Gebäudeaußenseite und verließ die Röhre auf Höhe der im oberen Turmdrittel umlaufenden Plattform. Benachbarte Wolkenkratzer reckten sich bis zu zwei Kilometer hoch. In ihrer bizarren Schönheit wirkten manche Bauten wie Säulen, auf denen das Firmament ruhte, andere wie stilisierte, nach den Sternen greifende Hände. Dazwischen wanden sich die Laufbänder wie üppige Schlingpflanzen, ihr hell leuchtendes Grau wurde mit der Höhe dunkler und wirkte bei fünfhundert Metern wie ein düsterer Schutz gegen äußere Einflüsse. Zwischen ihnen und den Aussichtsbrücken verkehrten Lufttaxis und -busse, private Gleiter folgten in unüberschaubarer Zahl den Peilstrahlen der Leitzentralen.
Oft hatte Alaska die Metropole Terras mit dem wohl durchdachten Chaos eines Insektenstaates verglichen. Dass hier das Herz des Solaren Imperiums schlug, war unübersehbar.
Minutenlang verharrte er am Rand der Plattform und starrte in die Tiefe. Dann schloss er die Augen und versuchte, den rasenden Herzschlag zu ignorieren. Ein unsichtbares Prallfeld verhinderte jeden Sprung; im Prinzip brauchte er nur die Arme auszustrecken, um den Energiezaun zu berühren. Er tat es nicht. Weil ihm bewusst wurde, dass er seit geraumer Zeit weder Schmerzen wahrnahm noch das stete Zucken im Gesicht. Irgendwann hatte beides aufgehört, ohne dass es ihm aufgefallen wäre.
Wann?
Er wusste es nicht.
Nicht zum ersten Mal seit dem Transmitterunfall fühlte sich Alaska Saedelaere als Spielball seiner Empfindungen. Tiefe Niedergeschlagenheit, beinahe Depression, wechselte mit jäh aufflackernder Hoffnung ab. Zurück blieb eine an die Substanz gehende Zerrissenheit.
Warum ich?, hämmerte es unter Saedelaeres Schädeldecke. Warum?
Ein Gurgeln drang über seine Lippen, ein halb erstickter Aufschrei, der unter der Maske nachhallte. Er taumelte. Siedend heiß pochte es durch seine Adern, während sein Magen sich anfühlte wie ein Schwarzes Loch, und dieses Nichts in seinen Eingeweiden wuchs, es breitete sich aus, als wolle es ihn innerlich verzehren.
Saedelaere verkrampfte sich und presste die Oberarme an den Leib. Im nächsten Moment griff er nach der Maske und verkrallte die Finger auf dem Plastik.
Wie aus weiter Ferne drang eine Stimme an sein Ohr. Alaska hatte Mühe, trotz des Dröhnens in den Schläfen zu verstehen, was der Sprecher von ihm wollte. Der Mann sagte etwas von »bedauernswertem Zustand« und »Medoroboter holen«.
»Nein«, ächzte Saedelaere. »Mir ... geht es ... gut.«
Im Aufschauen bemerkte er bleiche Augen, die ihn anstarrten, einen Ausdruck von Erschrecken und Verwirrung in der Miene seines Gegenüber, weil das Ding in seinem Gesicht wieder flackerte.
Der Mann, der ihm eben noch hatte helfen wollen, stammelte plötzlich unverständliches Zeug. »Hör auf!«, schrie Alaska und packte mit beiden Händen zu. Heftiger als beabsichtigt schüttelte er den Fremden, der wie eine Puppe in seinem Griff hing. »Komm zu dir! Verdammt — ich will das nicht, ich ... «
Niemals hätte ich mich von Liv überreden lassen dürfen, auf die Erde zu kommen, dachte er bitter.
»Wer sind Sie?«
Erst als der andere sich gegen den Griff zu sträuben begann und die Frage schrill wiederholte, reagierte Alaska. Ebenso abrupt, wie er zugepackt hatte, stieß er den Mann von sich. Zugleich warf er sich herum und floh vor sich selbst und seinem Selbstmitleid. Hinter ihm erklangen wütende Rufe. Wie eine Lawine schwollen sie an, kamen näher, bedrohlich nahe — und schwappten über ihn hinweg.
Schemen starrten ihn an, versuchten ihn aufzuhalten. Irgendwie registrierte Alaska, dass trotz der späten Nachtstunde viele Menschen auf der Plattform waren. Weg! Verschwindet! Seine körperliche Schwäche war eine Folge des Klinikaufenthalts; der Schweiß brach ihm aus allen Poren, und jeder neue Schritt ließ ihn innerlich beben. Blindlings hastete er vorwärts, starrte nur noch auf den Boden vor seinen Füßen und stieß etliche Personen zur Seite. Für sie war er ein Aussätziger, nichts anderes.
» ... er ist
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