PR Kosmos-Chronik 02 - Alaska Saedelaere
du dich mit einer Hand abfangen. Der Untergrund fühlt sich in der Tat an wie grobes Holz. Du findest keinen besseren Vergleich.
Die Perspektive hat sich für dich verändert. Eine Art Steg, dunkel und lückenhaft, wölbt sich vor dir auf und verliert sich, schmäler werdend, in der Ferne.
Ein Steg durch den intergalaktischen Leerraum?
Das Lachen bleibt dir im Hals stecken, als du begreifst, dass deine beschränkten menschlichen Sinne nur ein banales Abbild der Wirklichkeit vermitteln. Dem vergleichbar wäre der Versuch, einem Primaten ein Raumschiff zu erklären.
Unmittelbar neben dir fehlen Planken. Durch die Lücke starrst du in den Abgrund der Ewigkeit und frierst beim Anblick zweier kollidierender Galaxien. Eine Spirale siehst du von oben, die andere schräg von der Seite. Mit einem Teil ihrer Sternenpopulation haben sie einander durchdrungen. Hell wie eingefrorene Blitze strahlt ein Gürtel aus explodierten Sonnen, während scheinbar nur einen Fingerbreit davon entfernt die Schwärze so vollkommen erscheint, wie sie nur vollkommen sein kann. Du erschauerst angesichts des Eindrucks, dass in jenem unscheinbaren Fleck das Universum aufreißen könnte.
Du schwankst, verkrampfst die Finger um die Kante des Brettes, auf dem du kniest — und hoffst vergeblich darauf, dass dieser Albtraum endlich von dir weicht. Da du ein Mensch bist, darfst du Angst empfinden. Du hast sogar nackte, erbärmliche Angst. Aber du spürst zugleich eine unbezähmbare Neugierde und willst wissen, was dich am Ende erwartet.
Außerdem ist der Fremde noch in deinen Gedanken, du registrierst seine Empfindungen. Er ist kaum weniger verwirrt als du selbst. Und er will zurück. Aber er schafft es ebenso wenig wie du, sich loszureißen.
Er ist einer Spur gefolgt, die ihn anzog wie eine Flamme die Motten.
In dir entsteht die Vorstellung eines Leuchtfeuers kosmischer Größe. Dieser Brettersteg?, fragst du dich. Von diesem eigenwilligen, verfallenden Gebilde scheint eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszugehen. Der Fremde hat sich verleiten lassen, die Reise an ein unbestimmtes Ziel zu wagen. Und du selbst fühlst dich gedrängt, einen nächsten Schritt zu gehen.
Noch sträubst du dich gegen den stärker werdenden Zwang. Trotzdem schweift dein Blick hinüber zum nächsten Brett.
Vor dir gähnt das Nichts. Du wirst springen müssen — doch du erschauerst bei der Vorstellung, den Halt zu verlieren und abzustürzen. Wenig mehr als einen Meter misst der Abstand. Das kannst du mit einem weit ausgreifenden Schritt überwinden.
Der Fremde drängt dich. Er vermittelt dir das Gefühl von Gefahr und eine Ahnung, dass ihr beide sterben werdet, wenn du lange zögerst. Noch hast du es nur mit seiner mentalen Kraft zu tun, aber wenn du die Schwingungen richtig deutest, wird sein Körper nachfolgen. Auf eine dir unverständliche Weise.
Dein Gesicht brennt plötzlich wie Feuer. Du tastest mit den Fingern der rechten Hand über die Wangen und spürst die Veränderung. Das ist nicht mehr dein Fleisch, das da zu wuchern beginnt.
Du reißt auch die andere Hand hoch; deine Finger berühren zuckendes Gewebe. In dem Moment begreifst du endgültig, dass du mit dem Fremden verschmelzen wirst. Beide werdet ihr dabei sterben.
Du starrst auf den Abgrund vor deinen Füßen, und endlich wirfst du dich vorwärts: Da ist das entsetzliche Empfinden, über dem Abgrund zu verharren. Du spürst, dass Zeit verstreicht, aber du kannst nicht ermessen, ob Sekunden, Tage oder Jahrzehnte.
Endlich berührt dein Fuß das nächste Brett. Es biegt sich durch, hält der Belastung nicht stand. Du rutschst ab und ruderst mit den Armen, um dein Taumeln auszugleichen.
In dem Moment splittert das Brett. Es ist morsch.
Du glaubst, ein grässliches Krachen zu hören, als das Holz auseinander bricht. Einen qualvollen Augenblick lang hängst du über dem Nichts und siehst die Splitter nach allen Seiten auseinander fliegen. Dann stürzt du nach vorne und prallst gegen die Kante der nächsten Bohle. Deine Finger verkrallen sich auch ohne dein Zutun in deutlich zu spürenden Fugen.
Zugleich verändert sich die Umgebung, die Schwärze weicht gleißender Helligkeit. Tränen schießen dir in die Augen, die Lichtflut brennt sich in die Netzhaut ein. Wie einen Schattenschnitt siehst du die grob zerklüftete Silhouette eines fernen Horizonts. Darüber hängt ein aufgeblähter, von Protuberanzen umgebener Glutball.
Die Erleichterung, die du zu spüren glaubst, ist nicht deine eigene. Der
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