PR Lemuria 02 - Der Schläfer der Zeiten
lebenswarmen Inneren des eiförmigen Metalluterus war.
Die Erinnerung an den Hüter war ungenau. Nutai entsann sich vage, einen halb philosophischen Dialog mit einem machtvollen, vielglied-rigen Wesen geführt zu haben, irgendwann in ferner Vergangenheit, ein Gespräch über Zukunft, Vergangenheit und die Last der Gegenwart, über Rätsel, Geheimnisse und Verbote. Aus der Finsternis der Erinnerung glühten drei rote Augenlichter. Wie auf dem rätselhaften Bild in seinen Gemächern. Der Hüter, so nannte sich das Wesen, würde das Schiff mit allen seinen Möglichkeiten schützen.
Der Hüter und der Legendor, die Schutzherren des LEMCHA OVIR, schienen inzwischen ebenso immateriell wie Atuburs Träume. Er dämmerte dahin zwischen Wachen und Erinnerungen, während sein Körper alle verbrauchten Zellreste ausschwemmte, und mit ihnen manche Fakten, Daten und Gewissheiten. Acht mal zwölf Stunden dauerte der Aufenthalt in Medrovir. In kleinen Schritten kam Atubur Nutai wieder zu sich, jünger, mit straffer Haut, vollem schwarzem Haar, prallem Muskelgewebe, neu gewachsenen Zähnen und neuer Kraft, schnelleren Reaktionen und neu erwachter Sexualität. Chibis-Nydele erkannte ihn als jüngeres Ich, als Version einer wunderbaren Erneuerung, und sie gab sich ihm mit größerer Lust als zuvor hin.
Sie war die Einzige, die sein Defizit erkannte. Jedes Mal, wenn er verjüngt wiederkam, bewunderten ihn die älteren Lemcharoys, aber nur Nydele erlebte mit, wie er lernen musste, das riesige Schiff erneut unter seine Kontrolle zu bringen und zu beherrschen. Und es fiel ihm jedes Mal schwerer und dauerte länger, wieder der wissende, überlegene Sternensucher und Kommandant mit gebührender Autorität zu sein.
Trotz der fragwürdigen »Unsterblichkeit« kam der Tag, kam die Stunde, fern im unbekannten Weltraum, unergründlich fern von Lemuria, in der die OVIR einen gut aussehenden, kräftigen Idioten als Kommandanten haben würde, und diese Stunde stand jetzt bevor. Jetzt? Er musste augenblicklich aus Medrovir hinaus, sofort, den Vorgang des Kleinen Vergessens unterbrechen. schreiend erwachte er aus dem Halbtraum, spürte Nydeles Hände in seinem Nacken und den Rand eines Bechers an seinen trockenen Lippen.
»Du hast wieder geträumt, Atubur«, flüsterte sie. »Wach auf. Ich bin bei dir.«
Er schmeckte die strenge Säuerlichkeit des eiskalten Huccar auf seiner Zunge und riss die Augen auf.
»Ja. Geträumt«, lallte er. »Nur ein übler Traum. Es wird wohl einer der letzten sein.«
Er richtete sich auf und kehrte in die Gegenwart zurück, in die Zeit ohne Hüter, Legendor und mit einer 1000 Köpfe zählenden Besatzung.
Fünf Tage vor dem errechneten Zeitpunkt des letzten Bremsmanövers schien das Maximum der Aktivitäten erreicht worden zu sein. Alle Neutrino-Parasteuerer hatten ihr Bestes gegeben, denn der Partikelstrom der roten Sonne schlug der LEMCHA OVIR mächtig entgegen, ebenso wie die Wirkung ihres Schwerefeldes. Die Absorber waren, ausgehend von einer Dauerleistung von einem Gravo, fünfmal bis zum Maximum von 8 Gravo hochgefahren worden. Fünfmal änderte sich die Schwerkraft: Aus Wänden wurde plötzlich der Boden, und trotz aller Vorkehrungen rissen sich in den Hydroponiken Bäume los, und Tröge kippten um. In den Tanks gab es kein Eis mehr. Die Piloten, Kopiloten und die ausgelosten Insassen der vier Planetenfähren waren vorbereitet. Sämtliche Kohlendioxidtanks waren ausgeblasen, alle wichtigen Sauerstoff- und Atemlufttanks bis zum Höchstdruck gefüllt.
Die Echos der Nahortung und der optischen Beobachtungen erschienen in Echtzeit. Angeführt von den Tenoy, die hundert Fragen beantworten mussten, hatten sich alle Bewohner der LEMCHA OVIR auf den Landeanflug und das Betreten einer Umwelt vorbereitet, von der sie nur theoretische Vorstellungen und keinerlei wirkliche Erfahrungen hatten.
Erst als die Lemcharoys anfingen, ihr Gepäck und die ausgesuchten Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände in den Laderaum der OVIR EDANA zu bringen, bot sich Kalymel wieder eine unverdächtige Gelegenheit, in das leere, eisige Labyrinth einzudringen. Er hatte drei, vielleicht vier Stunden Zeit, bevor seine Abwesenheit bemerkt werden würde. Trotzdem bewegte er sich ohne Eile dem versiegelten Schott entgegen und schaffte es, den unteren Teil der Schweißnaht mechanisch und mit Hochtemperatur aufzutrennen.
Grundsätzlich war es verboten, an anderen Stellen als den markierten von einem Quadranten in den anderen überzuwechseln.
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