PR Lemuria 02 - Der Schläfer der Zeiten
Abenteuern...
Ein langes Beben und grelles, klirrendes Prasseln rissen Denetree hoch. Sie sah gerade noch, wie sich zwischen Shimon, der stehen geblieben war, und ihrem Platz die gefrorenen Stalaktiten lösten und zu Boden fielen. Sie zerbarsten, verkeilten sich ineinander, schleuderten mächtige, scharfkantige Splitter nach allen Seiten und bildeten binnen weniger Sekunden einen wachsenden, undurchdringlichen Wall neben der riesigen Eis-Spiegelplatte. Zusammen mit der mäch-tigen Eiswand, die Denetree zu umgehen gewagt hatte, war ein Eisgefängnis entstanden. »Isaias«, rief sie kläglich, »ich bin eingeschlossen. Bitte hilf mir!«
Sie war aufgesprungen und sah sich Hindernissen gegenüber, die zu hoch und zu massiv für sie waren. Sie lauschte auf Shimons Antwort. »Verdammt. Ich weiß auch nicht, was ich tun kann. Lass mich nachdenken.«, kam es kläglich aus den Helmlautsprechern.
Hilflos drehte sich Denetree im Kreis. Wieder fielen einige Quadratmeter Eiszapfen herunter und bohrten sich in den Wall. Wenn ich die Eisplatte vielleicht durchschmelzen kann dachte sie, aber sie war viel zu dick. Sie tastete nach dem Kombilader, der viel zu schwer für ihre Hand war.
Es ging viel zu schnell; erst später erlangten die Bilder, die sie sah und erlebte, ihren Sinn. Die riesige Eisplatte, in der sich Teile der Umgebung spiegelten, bekam Risse, sie wurde von einem Geschoss durchschlagen, das rot glühend an Denetree vorbeiflog, mit rasend schnellen Bewegungen der kraftvollen Gliedmaßen, nur Fingerbreiten über dem Boden, und den Eiswall in einer weißen Explosion zersprengte, noch ehe alle Splitter der Wand den Boden erreicht hatten.
Die Zeit schien plötzlich ganz langsam abzulaufen. Tausend unregelmäßige Kristallscherben, die in alle Richtungen auseinander klirrten, zeigten in der milchig durchstrahlten Eisluft ebenso viele winzige, verkantete, verkrümmte und stechend scharfe Bilder, die eine einzige Gestalt spiegelten: Ein vierarmiges Wesen mit drei glühend roten Augen, die auf Beinen und Armen lief und trotz der grauenhaften Furchtbarkeit ihrer Erscheinung wie die Verheißung einer Erlösung war, wie ein ultimater Schrecken, der sich binnen eines Sekundenbruchteils in eine traumhaft zärtliche, Rettung verheißende, tausendfache Tatsache verwandelte. Als die Bilder verschwanden und zu Boden klirrten, fasste ein mächtiger Arm nach Denetree und rannte weiter.
Sie fühlte sich angefasst, hochgehoben, nach vorn gerissen. Hart, ausschließlich, und dennoch mit der Zärtlichkeit eines gigantischen Gotteswesens.
Das mit ihr geradeaus weiterstürmte. Durch klirrende Hindernisse, über vereisten Boden, unter den tödlichen Speeren der Stalaktiten und der vagen Helligkeit entgegen, inmitten der sie schemenhaft die Gestalt des Exobiologen zu erkennen glaubte. Das Donnern schwerer Gliedmaßen auf dem Eis nahm sie nur wie aus einer entfernten Kulisse wahr.
Als dann das ohrenbetäubende Klirren der Eisscherben aufklang, lockerte sich der Griff der kurzen Gliedmaßen.
Der Hüter!
Der Hüter selbst trug sie mit all seiner väterlichen Liebe durch die messerscharfen Splitter und würde sie unversehrt retten.
Sie verlor das Bewusstsein. Mildtätige Schwäche, Dunkelheit und Entspannung kamen über sie. Sie, Denetree, die vom Arm des Göttlichen berührt und getragen worden war, rutschte aus dem sicheren Halt und prallte schwer auf den Boden.
Flüchtig nahm sie drei rot glühende Augen wahr, dann war die Erscheinung von der Größe des Shifts hinter dem zusammensackenden Eiswall verschwunden.
»Was. ist das?«, schrie Shimon aus den Helmlautsprechern.
Denetree lag wie erstarrt da. Sie kam irgendwie wieder auf die Füße und blickte sich ratlos um. Sie war von den blitzschnell aufeinander folgenden Ereignissen hoffnungslos überfordert.
Wieder flogen die tausend Bruchstücke des Stalaktitenwalls auseinander, und der Hüter kam zurück, bremste in einer aufstiebenden Kristallsplitterwolke, lief auf sie zu und streckte, während er sich aufrichtete, zwei der vier Arme aus. Jetzt sah Denetree den Hüter genau. Er war doppelt so groß wie sie selbst. Als sich der Rachen unter den übergroßen Augen öffnete, packte Denetree einen Gedanken lang eisiger Schrecken. Doch dann dröhnte die Stimme des Hüters auf und fegte ihre Furcht hinweg. »Du sollst meinetwegen nicht leiden, meine Kleine.« Das Grollen rief abermals einen Hagel aus Eiszapfen hervor. Die Arme waren ausgestreckt, sechsfingrige Riesenhände hielten
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