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PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

Titel: PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
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ernst.
    In diesem Moment geschah etwas mit Boryk. Etwas zerbrach in ihm wie eine dünne Schale; und etwas schlüpfte. Ihm wurde heiß von innen her. Ein wildes Fieber erfasste ihn, durchpulste ihn bis in die Fingerspitzen. Doch war es nicht mit Schwindel oder Dussligkeit verbunden, ganz im Gegenteil. Er empfand eine große Klarheit, hatte den Eindruck, noch nie in seinem Leben so scharf gesehen zu haben. Trotz des diffusen Lichts der Morgendämmerung konnte er jedes Äderchen, jedes Härchen, jede Pore im Gesicht seines Gegenübers ausmachen.
    Rautsh zögerte, wippte auf den Zehenspitzen. Stierte auf ihn herab. Zum ersten Mal schlug Boryk nicht die Augen nieder, sondern hielt dem Blick seines Krippbruders stand.
    »Leg den Stein weg«, sagte Boryk leise. Die Silben strömten wie von selbst aus seinem Mund. Als redete nicht er, sondern ein anderer, Fremder, soeben in ihm Erwachter.
    Und Rautsh gehorchte.
    Ungläubig, ratlos starrten alle drei. Etwas Ungeheures, Unerhörtes war passiert und passierte noch immer.
    »Ich werde weitergehen«, erklärte der, der mit Boryks Stimme sprach. »Ihr werdet mich nicht aufhalten, auch später nicht verfolgen, sondern meines Weges ziehen lassen. Habt ihr mich verstanden?«
    »Ja.«
    »Ja...Boryk.«
    »Und jetzt schlaft weiter.«
    Er hatte sich noch keine zehn Schritte von der Mulde entfernt, als hinter ihm zweistimmiges Schnarchen ertönte.
    Die Sonne ging auf. Wie er befürchtet hatte, stach sie, da er ihr um viele hundert Meter näher war als in der Ebene, unangenehm grell in seinen Augen. Und dabei befand er sich erst auf ungefähr halber Höhe der Vulkanklippen. Der Pfad war nun kaum mehr erkennbar, sichtlich seltener begangen. Doch um einen Pfad handelte es sich; also folgte ihm Boryk. Schrittweise wichen Anspannung und Euphorie. Dafür stellten sich bohrende Kopfschmerzen ein; auch Hunger, Durst und Müdigkeit meldeten sich zurück.
    Boryk stakste dahin, halb in Trance. Er konnte nicht fassen, was sich auf dem Vorgipfel ereignet hatte. Er hatte den Zwillingen die Stirn geboten. Mehr noch: Gujnar und Rautsh waren zurückgewichen, hatten es sich gefallen lassen, dass er ihnen Befehle erteilte. Und sie hatten ohne einen Muckser gehorcht! Nie hätte er das für möglich gehalten, in seinen kühnsten Träumen nicht.
    Leider war das Gefühl der Macht, das er dabei empfunden hatte, inzwischen verflogen. Der neue, große Boryk hatte sich wieder zurückgezogen; der alte, kleine, begann an der Richtigkeit seiner spontanen Entscheidung zu zweifeln. Die Argumente seiner Kripp-brüder hatten einiges für sich. Wozu Qualen auf sich nehmen, wofür sein Leben aufs Spiel setzen, wenn es auch einfacher ging?
    Wenigstens erholen und stärken hätte er sich sollen! Wärme, Wasser und Süßriegel... Seine Zunge klebte am Gaumen, sein Magen revoltierte. Der Wind piekte seinen nackten, wunden Rücken mit eisigen Nadeln. Unsicher setzte er einen Fuß vor den anderen, musste immer öfter die Hände zu Hilfe nehmen, so steil war der Weg. Höher und höher stieg er. Die Sonne tat es ihm gleich, doch bedeutend müheloser.
    Ach, die Sonne hatte es gut. Sie glitt am Firmament entlang, und nichts behinderte ihre Bahn. Die Wolken wichen ihr aus. Um die dicke Rauchsäule, die aus dem höchsten Vulkankegel entsprang, schlug sie einen eleganten Bogen. Boryk hingegen, tausende Meter unter ihr, kämpfte sich über schmale, abschüssige Felsbänder und
    schroffe Stufen, die viel zu hoch für seine kurzen Beine waren.
    Am frühen Nachmittag erreichte er nach mühseliger, fast senkrechter Kletterei den Sattel eines Passes. Hier blies der Sturm so stark, dass Boryk sich auf alle viere niederlassen musste, um nicht hinweg geweht zu werden.
    Auf dem Bauch robbend, überwand er den schmalen Einschnitt zwischen zwei Klippen. Nachdem er auf der anderen Seite etwa 50 Meter weit abgestiegen war - an einigen ausgesetzten Passagen waren rostige Seile und Tritte angebracht, doch letztere lagen zu weit auseinander, als dass sie ihm viel genützt hätten -, breitete sich vor ihm eine sanft gewellte Hochfläche aus, etwa doppelt so groß wie Dorf und Festplatz zusammen. Niedrige, zerzauste, halb verdorrte Büsche bedeckten das Plateau. Der Weg schlängelte sich durch sie hindurch. Zwar verlief er nun fast eben und deutlich gangbarer, doch die Dornen der Gewächse zerkratzten Boryks Schenkel. Viele heile Stellen hatte er nicht mehr an seinem Körper...
    Das Vieh stand plötzlich vor ihm wie aus dem Boden gewachsen. Nie zuvor war

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