PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
unkontrolliert.
Mehr noch quälten sie ihre Gedanken. Sie hätte überlegen sollen, wie sie sich aus den parapsychischen Klauen ihres Entführers befreien oder wenigstens eine Positionsmeldung an die Flotte absetzen könnte. Aber ihr fiel nichts ein. Über ein Funkgerät verfügte sie nicht, sie trug nur leichte Innendienstkleidung. Der Zwerg führte einige Gegenstände mit sich, die die Taschen seiner Hosen ausbeulten, doch er hatte ihr verboten, sie anzufassen. Sie war gefangen.
Ihr Denken kreiste unaufhörlich um die Szene in ihrem Schlafzimmer. Was hatte sie falsch gemacht, dass ihr Mann sie betrog? Hatte sie ihn zu der anderen Frau getrieben? Sie waren doch ganz gut miteinander ausgekommen, hatten einige sehr schöne Jahre gehabt. Gelegentlich Streit, ja; aber ihre Auseinandersetzungen waren niemals eskaliert, hatten keine Narben hinterlassen, die nicht bald wieder verheilt wären. Und ihre so genannte beste Freundin... Wie konnte sie ihr das antun? Die Pest wünschte sie ihr an den Hals!
Nie hätte Vilgu gedacht, einmal solchen Horror durchleben zu müssen. Doch es sollte noch schlimmer kommen; viel schlimmer. Der Gestank, der von dem Zwerg ausging, wurde immer bestialischer, immer unerträglicher.
Als verfaule er bei lebendigem Leib, dachte Vilgu. Und genau das tat er.
Sie musste zweimal hinsehen, traute ihren Augen nicht. Die Haut des kleinen Mannes mit dem großen Kopf bekam dunkle Flecken, brandige, schwärende Wunden. Binnen weniger Minuten hatten sie sich über die ganze Körperoberfläche ausgebreitet. Der Zwerg schwamm in einer Lache aus dunkelrotem, fast schwarzem Blut und schleimigem, graugelbem Eiter. Nun griff die Fäule auf das Muskel-fleisch über, unter dem an manchen Stellen Knochen zum Vorschein kamen. Der Anblick des sich auflösenden, weich in sich zusammensinkenden Schädels raubte Vilgu beinahe den Verstand. Sie schrie, kreischte sich vor Grauen die Seele aus dem Hals, wollte sich abwenden, davonlaufen, doch das konnte sie nicht, der Befehl des Meisters hielt sie an ihrem Platz. Des Meisters, der vor ihren Augen regelrecht zerfiel, zerbröckelte, zerfloss zu einer Ekel erregenden Masse, einem gallertartigen Zellhaufen, auf dem, die Ärmel grotesk gefaltet, die Kleidung schwamm, und ein eiförmiges Amulett.
Vilgu Deponar saß stundenlang daneben und observierte, wie sie langsam wahnsinnig wurde. Sie lachte, lachte Tränen darüber, dass ein Gemüsehobel ihr Leben zerstört hatte. Von dem, was sie hier mitmachte, würde sie sich nie wieder erholen können. Kein Psychiater des Universums vermochte ihr die geistige Gesundheit zurückzugeben.
Auch körperlich wurde sie krank. Sie bekam Temperatur, und Schwierigkeiten beim Atmen, als hätte sich kratzender, kitzelnder, ätzender Staub in ihren Lungen eingenistet. Ihr Herz schlug unregelmäßig. Ihre Glieder zitterten. Plötzlich wusste Vilgu, dass sie sterben würde.
Und während sie starb, erwachte der Zwerg wieder zum Leben.
Es war unglaublich, absolut unfassbar: Der Auflösungsprozess kehrte sich um. Die Zellmasse gewann, ausgehend von dem eiförmigen Anhänger, wieder an Form und Konsistenz. Die Gestalt des Zwergs erwuchs von neuem, erst roh und unfertig wirkend, dann zusehends konkreter. Vilgu wollte schreien, doch kein Ton kam aus ihrem Mund, stattdessen blutiger Speichel.
Die großen, runden, schwarzblau schimmernden Augen, die sich gerade erst gebildet hatten, starrten sie an.
Sie sollten das Letzte sein, was Vilgu Deponar in ihrem Leben sah.
Hetzjagd durchs Blaue System
Er strotzte vor Kraft, barst geradezu vor Energie. Fühlte sich bestens ausgeruht, rundum erfrischt, wie neugeboren. Was er wohl auch war und unzweifelhaft dem Amulett der traurigen Göttin verdankte. Boryk sah an sich herab, betastete seine zarte, frisch verheilte Haut. Horchte in sich hinein: keine Anzeichen von Schwäche. Genoss, während er in Kleider und Schuhe schlüpfte, die Spannkraft seines jungen, gerade erst zum Mann gereiften Körpers.
Sein Geist aber war verwirrt. Panik überfiel ihn jäh, als er sich an seine Flucht aus dem Himmel erinnerte. Und Reue. Er hatte sein Volk verlassen, in einer Stunde, da es ihn so dringend wie nie zuvor benötigte. Er musste zurück nach Hause, keine Frage.
»Bring mich wieder in die Höhle mit den vielen grünen Weltentoren!«, wollte er zu der Riesin sagen, die neben seiner Bettstatt lag. Doch als er sie anstieß und umdrehte, bemerkte er, dass sie tot war. Er schloss ihr die Augen, erschüttert, da er ahnte,
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