PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
dass er ihren Tod verschuldet hatte, wenngleich er nicht wusste, wodurch.
Was jetzt? Wie sollte er ohne Hilfe den Rückweg finden?
Die Welt innerhalb der Welt außerhalb der Welt war ihm fremd; für Riesen gemacht, nicht für seinesgleichen.
Die Gegenstände, die ihm die drei Schutzmänner gegeben hatten, stellten keine Hilfe dar. Eine Art Zauberbrettchen mit vielen Schaltern, die er nicht zu berühren wagte. Ein Gerät, aus dem man zahlreiche verschiedene kleine Werkzeuge ausklappen konnte. Ein anderes, abgegriffenes, aus dem, kaum dass er es umfasste, eine tiefe Stimme erklang.
Das Kästchen an seinem Hosenbund übersetzte: »Sehr groß und weit ist das Universum, und vorwiegend schrecklich leer, aber auch voll der Wunder...«
Boryk lauschte eine Zeit lang. Viel verstand er nicht. Er hatte die Riesen um etwas wie die Heilige Folie gebeten, ein Schriftstück, das
Auskunft darüber gab, wie diese Welt beschaffen war. Aber sie hatten ihn enttäuscht. Ihre Geschenke hatten keinen Wert für ihn. Vielleicht vermochten ja die Schutzmänner sich damit zu orientieren; ihm boten sie keine Hilfe. Er erwog, die Objekte bei der Leiche liegen zu lassen. Steckte sie dann aber doch wieder ein, worauf die Stimme abbrach.
Er sah sich um. Nur sehr dunkel erinnerte er sich daran, auf welchem Weg sie hierher gelangt waren. Die Riesin hatte ihn wie ein Kleinkind durch einen nächtlichen Wald getragen. Dann waren sie in einem Boot gefahren; die Riesin hatte gerudert. Schließlich waren sie am Ufer eines Sees an Land gegangen, über den sich ein Firmament spannte, fast so ausladend wie im Himmel oder in der Hölle. Jedoch zogen hier keine Gestirne ihre Bahn, sondern steinerne Zapfen hingen, im spärlichen Licht der Bootslampe nur undeutlich erkennbar, davon herab.
Plätschern erfüllte die Grotte und entferntes, leises Wispern. Boryk begriff. Offenbar zogen sich Liebespaare hierher zurück, wenn sie unentdeckt bleiben wollten. Die Gebräuche der Riesen unterschieden sich also doch nicht so sehr von denen der Menschen.
Er stieß das Boot ins Wasser, das ihm bis zur Brust reichte. Kraulte hinterher, zog sich mit einiger Mühe hinein, ergriff die Ruder. Er musste seine Arme strecken, um beide auf einmal betätigen zu können. Daher kam er nur langsam voran. Zum Glück gab es keine Strömung, gegen die er ankämpfen musste. Von der Seegrotte führte ein Kanal ins Freie. Warmer Wind trocknete seinen Körper.
Nach einiger Zeit fand er die Stelle, an der das Boot vertäut gewesen war. Ein schmaler Pfad wand sich vom Steg in den Wald. Boryk folgte ihm. In großen Abständen standen Laternen, die ein mildes, oranges Licht verbreiteten. Boryk erschrak, als zwischen den Bäumen einige Dutzend Meter vor ihm Stimmen erklangen und das Kästchen an seiner Hüfte anschlug.
»...erst heute Morgen eingefallen, dass sie Heroth Deponar einmal von dieser verschwiegenen Liebesgrotte erzählt hat. Vilgu war selbst nie hier, aber ihre Kollegin hat ihr ein amouröses Abenteuer geschil... He, seid einmal still. Bleibt stehen. Habt ihr das gehört?«
Boryk war nahe daran, sich das Kästchen vom Leib zu reißen und es von sich zu schleudern. Aber dann hätte er notfalls nicht von seiner Fähigkeit Gebrauch machen können. Wenn er doch nur gewusst hätte, wie man es aus- und bei Bedarf wieder anschaltete! Aber das hatten ihm die Riesen nicht gezeigt.
»Das klang nach einem Translator, oder? Na klar, da, schon wieder! Er muss ganz in der Nähe sein. Ausschwärmen!«
Grelle weiße Scheinwerfer durchschnitten die Nacht. Boryk warf sich ins Dickicht, rollte ab und rannte, was seine kurzen Beine hergaben.
Levian Paronn raste. Sein über alles geliebtes Diarium!
Erst jetzt hatte er Zeit und Gelegenheit gefunden, eine neue Eintragung zu verfassen. Doch als er in die Tasche griff, in der er das Diarium gewöhnlich aufbewahrte, erwies sie sich als leer.
Er weigerte sich, es zu glauben. Durchwühlte sein Gewand, seinen Schutzanzug, sämtliche Behälter. Stellte die ganze Kabine auf den Kopf.
Nichts.
Es gab nur eine einzige mögliche Erklärung, wo er seines - abgesehen vom Zellaktivator - wertvollsten Besitzes verlustig gegangen war: in der NEANN OCIS! In jener Zeitspanne, an die ihm jede Erinnerung fehlte... Unter einem Vorwand nahm Levian mit den beiden anderen, die mit ihm in der Arche gewesen und von dem Meinen Lemurer überwältigt worden waren, Kontakt auf. Er fragte beiläufig, ob sie ebenfalls persönliche Gegenstände vermissten. Tatsächlich.
Weitere Kostenlose Bücher