PR NEO 0037 – Die Stardust-Verschwörung
Jede Kultur ging anders mit dem Tod um. Manche Kulturen trauerten, andere nicht. Crest erinnerte sich an die Zivilisation der Kalinoraner, denen er auf seinen Reisen hin und wieder begegnet war; sie freuten sich, wenn jemand starb, der ihnen nahestand. Sie nahmen die Verheißung eines besseren Lebens im Jenseits sehr wörtlich und feierten rauschende Feste voller ausschweifender Exzesse, die erst nach einem vollen Tag in althergebrachte Trauerrituale übergingen. Allerdings betrauerten sie nicht den Toten, sondern sich selbst als Überlebende, weil sie zurückgeblieben waren.
Der Antigravschacht endete direkt gegenüber dem Eingang zum Hangar. Novaal zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung. Er schien das Gewicht seines Sohnes gar nicht zu spüren.
Wenig später stiegen sie in das Beiboot. Novaal platzierte Sayoaard in einem Passagiersitz. Crest versprach, sich sich für die Dauer des kurzen Fluges um ihn zu kümmern, während Novaal das Beiboot steuerte. Der Arkonide gab genaue Kursanweisungen und überprüfte den Sitz der mobilen Medo-Überlebenseinheit. Sie saß perfekt. Sayoaards Atem ging ruhig und gleichmäßig. Auch die Schmerzmittel taten offenbar ihr Werk.
Auf den Außenbeobachtungsholos verfolgte der Arkonide, wie sie mit dem Beiboot ausschleusten, durch die Atmosphäre der Erde sanken und schließlich stark beschleunigten. Sie stießen durch Wolkenschichten, und bald tauchte die schier ewige, tote Weite der Wüste Gobi auf. Gewaltige Sandfelder und Dünen wechselten sich mit Stein- und Felsgeröllfeldern ab. Ein erhebender Anblick aus der Höhe – vor Ort ein lebensfeindlicher Platz.
Nur sehr selten zeigten sich trotz der schneidenden Kälte Schneefelder. Die Gobi war fast überall zu trocken, als dass sich Schnee und Eis bilden konnten. In wenigen Monaten, das wusste Crest, würden die klimatischen Bedingungen wechseln; dann drohten mörderische Sand- und Schneestürme, die alles Leben, das ihnen trotzen wollte, unter sich begruben.
Im Tiefflug überquerte das Beiboot die Schienenstrecke der Transmongolischen Eisenbahn, die das einzige Anzeichen von Zivilisation weit und breit bildete. Terrania lag weit entfernt, doch am Horizont ließ sich die Struktur des zwei Kilometer hohen Stardust Tower erahnen. Bei weniger als minus dreißig Grad Celsius gab es weit und breit kein Anzeichen von tierischem Leben.
Am Rand eines Geröllfeldes landete Novaal das Beiboot, kehrte zu seinem Sohn zurück und hob ihn aus dem Sessel. »Deine Qual wird bald beendet sein«, sagte er sanft. Zum ersten Mal seit Langem lagen in seiner Stimme wieder Zuversicht und – ja, Crest war sich sicher – Freude.
Obwohl sich Crest so gut wie möglich gegen den Wind schützte, schnitten die Böen wie mit Messern in sein Fleisch.
Das Beiboot lag inzwischen einige Hundert Meter hinter ihnen. Es war nur ein verschwommener, winziger Schemen in der vor Kälte wabernden Luft. Sonst bot sich dem Auge keinerlei Abwechslung in der Weite des Geröllfeldes: zersplittertes Grau, als wäre die Welt selbst zerbrochen und mit ihr sämtliches Leben dieses Planeten.
Sayoaard saß auf dem Boden. Das mobile Lebenserhaltungssystem war noch genauso über seinem Bauch festgeschnallt, wie Dr. Manoli es hinterlassen hatte. Es erzeugte ein Wärmefeld, das die Körpertemperatur des Patienten aufrechterhielt, sonst wäre Sayoaard längst erfroren.
Crest dachte an die VEAST'ARK zurück. Vor weniger als zwei Stunden waren sie noch dort gewesen; Crest kam es vor wie eine Erinnerung an ein anderes Leben, als sei er schon vor einer Ewigkeit in dieser eisigen Hölle ausgesetzt worden.
Novaal hob mit bloßen Händen ein Grab aus, schleuderte Gestein von sich. Seine Hände waren wund, sie bluteten aus zahllosen Schnitten. Er hatte Crests Angebot, einen Desintegratorstrahl einzusetzen, rigoros abgelehnt. Die Gestalt des Hünen verschwand fast völlig in dem Loch, das er, unermüdlich und ohne ein Wort zu sprechen, immer tiefer grub.
Crest sah zu, während er unablässig hin und her ging und in Bewegung blieb, um der beißenden Kälte zu widerstehen. Seiner Auffassung nach verwandelte Novaal seinen inneren Aufruhr in hastige, stur zielgerichtete Aktion; der Naat grub sich im wahrsten Sinne des Wortes durch seine aufgewühlten Emotionen voran, um seiner Qual ein Ventil zu verschaffen und sie auf diese Weise ertragen zu können.
Sayoaards Mund bewegte sich. Crest konnte nichts hören, also ging er näher. Erst als er sein Ohr dicht vor das Gesicht des Jungen
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