PR NEO 0041 – Zu den Sternen
verzichteten, die vorgesehene Überraschung zugunsten von körperlichen Stresstests ausfallen zu lassen.
»Major Rinkhel persönlich hat mich gebeten, von einer solchen Bestrafung abzusehen, und ich habe ihm zugestimmt«, hatte Kowaltschuk erklärt. »Die Raumakademie Baikonur darf tatsächlich kein Ort sein, an dem Kollektivstrafen ausgesprochen werden. Nur wegen ein oder zwei feigen Idioten sollen nicht alle Kadetten um die Früchte ihrer harten Arbeit gebracht werden.«
Er hatte eine kurze Pause gemacht und dann erklärt: »Ein altes russisches Sprichwort lautet: ›Wie lang sich die Schnur auch windet, es kommt doch ein Ende.‹ Damit will ich sagen, dass wir früher oder später erfahren werden, wer den Rechner des Mussabajew-Zentrums manipuliert hat – und dann möchte ich nicht in seiner oder ihrer Haut stecken.«
Danach hatte er Rinkhel das Wort erteilt, und dieser hatte ihnen eröffnet, woraus die angekündigte Überraschung bestehen würde: einer Fahrt mit dem Orbitalfahrstuhl von Terrania nach Terrania Orbital, wo sie in ein Beiboot umsteigen und eine Reise durch das Sonnensystem machen würden.
Die erste Ankündigung hatte bei den Kadetten Erleichterung, die zweite regelrechte Euphorie ausgelöst.
Sid hätte sich ebenfalls gefreut – wenn ihn das schlechte Gewissen nicht fast erdrückt hätte. Auch Juri sprach seit zwei Tagen kaum mehr ein Wort mit Sid und ging Hollander konsequent aus dem Weg.
Es hatte nicht gereicht zu verhindern, dass Juri direkt in die Sache hineingezogen wurde. Sein Wissen über die Hintergründe der Tat und das eiserne Schweigen, mit dem er seinen Freund Ruy schützte, hatten dem jungen Kasachen jede Freude über sein erfolgreiches Bestehen der ersten Ausbildungsphase genommen.
Auch Dahlin, Brubaker und Hammadi zeigten sich Hollander und ihm gegenüber plötzlich deutlich distanziert. Sie schienen zu vermuten, wer hinter dem üblen Scherz steckte, wollten den Konflikt aber nicht offen ausbrechen lassen.
Ihr stummer Vorwurf schnitt tief in Sids Herz. Es war falsch gewesen, sich von Hollanders Worten einlullen zu lassen, und nun musste er mit den Konsequenzen leben.
Die beiden Copter, die sie hergebracht hatten, erhoben sich mit dröhnenden Rotoren in den Himmel. Sie würden nun zurück nach Baikonur fliegen, um die nächste Kadettengruppe zu holen.
Rinkhel zählte sie durch und führte sie dann zum Eingang des Stardust Tower. Eine ältere Frau mit grau gekraustem Haar und den Insignien der Terranischen Union nahm sie in Empfang.
»Mein Name ist Carla Stoke«, sagte sie. »Ich begrüße Sie ganz herzlich in Terrania. Ich werde Ihnen eine kurze Einführung über Terrania Orbital geben und Sie dann in die Kabine des Weltraumfahrstuhls führen.«
Sid blickte an der mächtigen Fassade des Turmes hoch. Sie schien endlos lang in den Himmel zu ragen. Der Stardust Tower war in kürzester Zeit mithilfe der arkonidischen Supertechnik hochgezogen worden. Noch immer empfand er eine tiefe Ehrfurcht vor den extraterrestrischen Bauleistungen.
»Der Weltraumfahrstuhl und Terrania Orbital läuten eine neue Epoche des irdischen Städtebaus ein«, berichtete Stoke stolz. »Jahrzehntelang wurden rund um die Erdkugel immer mächtigere Gebäude gebaut. Denken wir nur an das Empire State Building in New York, den Burj Khalifa in Dubai oder den Shenzen Tower in der gleichnamigen südchinesischen Stadt. Mit Terrania Orbital kommen nun Stadtteile hinzu, die bis in den Weltraum reichen. Die ehemalige arkonidische Venus-Zuflucht schwebt in einer Höhe von sechsunddreißigtausend Kilometern über der Stadt. Sie dient als Gegenstation des Weltraumfahrstuhls, dessen Kabel an der Spitze des Stardust Tower verankert ist.«
Einer der Kadetten hob die Hand, um eine Frage zu stellen.
Carla Stoke lächelte. »Ja?«
»Ich habe gelesen, dass sich Terrania Orbital in einer geostationären Umlaufbahn befindet. Aber nach meinem Wissen ist ein geostationärer Orbit nur über dem Äquator möglich.«
Stokes Lächeln verbreiterte sich. »Ihr Wissen ist korrekt. Der Fehler basiert auf einer fehlerhaften Pressemitteilung, die während der Bauzeit gesendet worden war. Tatsächlich befindet sich Terrania Orbital nicht in einem geostationären, sondern in einem geo synchronen Orbit über der Stadt. Das bedeutet, dass sie aufgrund der ungleichmäßigen Masseverteilung der Erde von Bahnstörungen betroffen ist, die allerdings durch die hohe Dynamik des Kabels und die Korrekturtriebwerke an Terrania Orbital
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