PR NEO 0042 – Welt aus Seide
jüngere Frau schluckte und brachte sich wieder unter Kontrolle. Es war offenkundig, wie viel Kraft es sie kostete. Kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, fast, wie wenn sie ihre besondere Gabe einsetzte. Vielleicht war es tatsächlich so, überlegte Rhodan. In gewisser Weise zwang sie sich dazu, etwas nicht zu sehen, obwohl es doch da war – überdeutlich.
»Gut«, sagte sie. »Gehen wir.« Sie griff wieder nach Goratschins Hand, und dem großen Mann stand die Bewunderung für ihre Tapferkeit deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Sie werden es nicht bereuen«, versicherte ihr Crest. »Trebola soll ein Ort von unbeschreiblicher Schönheit sein.«
Matsu erwiderte nichts und schaute starr geradeaus. Belinkhar ließ sich von der Positronik der HETH-KAPERK den Weg zur nächsten Shuttleanlegestelle weisen, und sie machten sich auf den Weg.
»Ein Gutes hat es ja«, sagte Atlan, der die arkonidischen Sicherheitskräfte und die Wachroboter, die immer wieder aus der Menge aufragten, sorgsam im Blick behielt. »Wir gehen der Garnison und der Wachmannschaft aus dem Weg.«
»Einen Urlaub habe ich mir trotzdem anders vorgestellt«, versuchte Goratschin zu scherzen, doch Matsus Hand verkrampfte sich um seine, und sie zog ihn weiter.
Auch Chabalh wirkte nervös und hatte Probleme mit der geringen Schwerkraft. Mehr denn je erinnerte er Rhodan in diesen Minuten an eine große Katze, die mit der ihr typischen Mischung aus Grazie und Ungeschick mehrmals nur um Haaresbreite einem Zusammenstoß entging.
»Und?«, fragte Crest, als sie die nächste Schleuse erreichten und Rhodan neben ihn trat. »Sie wollten überrascht werden, mein Freund. Ist es mir gelungen?«
5.
Quetain Oktor
»Also?«, fragte Quetain Oktor müde und nippte an seinem Glas. Der Tuglan-Branntwein, ein teures Importgut auf Trebola, wärmte seine Kehle. »Was hast du für mich?«
»Leider nicht viel«, entgegnete Kaprisi von ihrem Terminal. »Sieh selbst.«
Der Fürsorger stellte sich hinter sie und blickte ihr über die Schulter. Die zweigeteilte Projektion, die vor ihr schwebte, zeigte seinen Besuch beim Erzfürsten, nur diesmal aus Kaprisis Perspektive. Die Bilder ihrer versteckten Kamera waren zwar bloß zweidimensional, aber gestochen scharf, und beim Anblick von Vidaarms dürren, knochigen Gliedern war Oktor froh, wieder zurück in seinen Quartieren zu sein.
Der Fürsorger trat an das Panoramafenster seines Büros, in dem sich die schwarze Haut seines Spiegelbilds schwach spiegelte, sodass es wie ein Geist über dem Abgrund zu schweben schien. Sie befanden sich im dreiundsechzigsten und obersten Stockwerk des Turms. Ursprünglich war das Gebäude auf siebzig Stockwerke veranschlagt gewesen, doch ein diplomatischer Eklat hatte den Bau frühzeitig gestoppt. Die oberen drei Etagen bildeten nun einen vergleichsweise niedrigen Halbkreis, der sich von der Verladeplattform des Weltraumlifts auf Höhe des sechzigsten Stocks erhob. Einfacher ausgedrückt: Quetain Oktors Büro war der höchste Punkt eines beschnittenen Turms. Er hatte es immer schon gerade so hoch hinausgeschafft, wie man ihn ließ.
Unter ihm erstreckte sich die unverständliche Hauptstadt mit ihren schimmernden Türmen, Brücken und milchweißen Freiwegen im Schein der bläulich weißen Sonne. In der Ferne sah er Vidaarms Palast, das nach wie vor höchste Gebäude der Stadt, im Zentrum zahlloser Verbindungen. Es war den Trebolanern verboten, Seidenwege gleich welcher Art am Turm der Freundschaft anzubringen, und Quetain Oktor schätzte dieses Verbot sehr, denn es befreite ihn vom Anblick seiner Schutzbefohlenen und der bösen Überraschung, die es bedeutet hätte, wenn sich ein besonders vermessener Trebolaner auf einmal von seinem Dach herab direkt an seinem Fenster vorbei abgeseilt hätte. Gleichzeitig war der Turm damit aber auch das isolierteste Gebäude, und aus Sicht der Trebolaner war Ausgeschlossenheit aus dem Netz gleichbedeutend mit Nichtexistenz.
Ein weiterer Luxus, den sich Oktor erlaubte, war die künstliche Schwerkraft in seinen Quartieren. In den oberen drei Stockwerken des Turms herrschten – im Gegensatz zur Verladeplattform und den sechzig Stockwerken darunter – arkonidische Schwerkraftverhältnisse. Selbstverständlich war dies eine ungeheure Energieverschwendung. Quetain Oktor hatte sie damit gerechtfertigt, dass jeder Trebolaner, der versuchen würde, gegen seinen Willen in die Quartiere des Fürsorgers einzudringen, schon außer Atem sein würde, ehe er auch
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