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PR NEO 0045 – Mutanten in Not

PR NEO 0045 – Mutanten in Not

Titel: PR NEO 0045 – Mutanten in Not Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
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sie unwillkürlich eine alte Melodie summte, ein Lied von Leonard Cohen: »There is a war between the rich and poor, a war between the men and the women ...«
    »Der Cellist von Sarajevo wiederum, Vedran Smailović, ein Mitglied des Opernorchesters, spielte während der Belagerung jeden Tag in den Ruinen zerbombter Gebäude, meistens das Albinoni-Adagio in g-Moll. Er wurde immens populär und zum Symbol des zivilen, künstlerischen Widerstands gegen die Barbarei des Krieges. Was fiel Predrag dazu ein? Er verteilte Tonträger mit dem Aufdruck ›Memento Vedran‹, auf denen eine Cello-Fassung der serbischen Hymne Bozĕ pravde zu hören war ...«
    »Der Mann spielte gern mit dem Feuer.«
    »Er berief sich auf die Pflicht des Künstlers, Ikonen zu entstauben, gerade die besonders sakrosankten. Ein Totempfahl, sagte er, an dem niemand mehr herumschnitze, sei nur noch abgestorbenes, kraftloses Holz.«
    »War Žbanić. sehr verhasst?«
    »Nein, im Gegenteil. Für manche Gruppierungen stellte er natürlich ein ideales Feindbild dar. Die überwiegende Mehrheit gestand ihm jedoch eine gewisse Narrenfreiheit zu, wohl auch wegen seiner einnehmenden Persönlichkeit. Außerdem zeugten viele der von ihm angeregten Projekte von ehrlichem sozialem Engagement.«
    »Ich will nicht wie ein quengelndes Kind klingen, aber da ich momentan kränkle – sind wir bald da?«
    »Sie haben es so gut wie geschafft. Die Unfallstelle liegt hinter der nächsten Wegbiegung.«
     
    Von einem Felsplateau sah man hinunter auf die Stadt, die vor dem Krieg eine der schönsten Europas gewesen war und danach nur mühsam wieder zur alten, multikulturellen Glorie gefunden hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite lag der frische Felssturz, eine gut dreißig Meter breite Aufschüttung teils übermannshoher Steinblöcke am Fuß der steilen Bergflanke.
    Inspektorin Borovac hob das gestreifte Absperrband hoch, damit Caroline darunter durchschlüpfen konnte. »Wie ich Ihnen schon telefonisch mitgeteilt habe, gibt es nicht mehr sonderlich viel zu sehen. Die Leiche wurde abtransportiert, unmittelbar nachdem man sie per Sondierung aufgespürt und ausgegraben hatte. Predrags Überreste boten keinen schönen Anblick, sagte man mir. Vom ehemaligen Geschützstand ist nichts übrig geblieben, er wurde komplett verschüttet.«
    »Danke, dass Sie mich trotzdem hierher geführt haben.«
    »Gern geschehen. Darf ich fragen, warum Sie diese Mühe auf sich nehmen? Was erhoffen Sie sich davon?«
    »Ich will mir die zugegeben äußerst geringe Chance, auf eine Spur zu stoßen, nicht entgehen lassen.«
    »Eine Spur welcher Art?«
    Caroline lenkte mit einer Gegenfrage ab. »Die Hangrutschung ereignete sich in den frühen Morgenstunden, sagten Sie?«
    »Höchstwahrscheinlich. Der Notruf ging in unserer Dienststelle jedenfalls um vier Uhr siebzehn ein. Er stammte von einem Jäger, der das Getöse gehört hatte, Nachschau hielt und das umgefallene, halb von Geröll bedeckte Mountainbike fand. Da er keinen zugehörigen Fahrer entdeckte, nahm er an, dass dieser unter den Felsmassen begraben lag. Was sich als leider richtig erweisen sollte.«
    »Wodurch könnte der Bergsturz ausgelöst worden sein?«
    »Bedaure. Die Untersuchung der Ursachen ist eine komplexe Sache und umfasst mehrere Fachgebiete, vor allem Geologie, Felsmechanik, Ingenieurvermessung und Geomorphologie. Auf keinem davon bin ich bewandert.«
    »Wurde der Jäger befragt, ob er davor eine Explosion gehört hat?«
    »Allerdings. Laut Protokoll konnte er sich an nichts dergleichen erinnern. Meine Kollegen haben auch keinerlei Hinweise auf die Anwendung von Sprengstoff gefunden.«
    Nichts anderes hatte Caroline erwartet. »Was wollte Predrag Žbanić. bloß um diese Zeit hier oben?«
    »Keine Ahnung. Den Ausblick genießen, vielleicht den Sonnenaufgang abwarten?«
    »Hat er so etwas öfter gemacht?«
    »Nächtliche Radtouren? Oh ja! Ihm war jederzeit eine verrückte Spontanaktion zuzutrauen.«
    »Sie scheinen ihn recht gut gekannt zu haben.«
    Die kernige, ungeschminkte Frau mit den hellbraunen, fingerlangen Dreadlocks verzog ihr hübsches Gesicht. »Sarajevo ist eine kleine Stadt, Kollegin Frank. Wir haben nicht einmal eine halbe Million Einwohner im ganzen Kanton. Aber um auf Ihre dezente Anspielung einzugehen: Predrag war zwar ein Filou, doch ein hervorragender Liebhaber.«
    »Entschuldigung, ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Mein Beileid.«
    »Halb Sarajevo wird ihn vermissen.« Borovac atmete tief durch.

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