PR NEO 0045 – Mutanten in Not
wenn ich niese, junger Krieger.«
»Ich wollte nur höflich sein.«
»Das weiß ich. Trotzdem ... Oh, schau mal, da vorn ist Haggard!«
»Wo?«
»Äh ... Zu spät. Er wurde soeben in Grund und Boden geackert. Siehst du den Haufen aus dreckverschmierten Leibern?«
»Ja?«
»Darunter.«
Dr. Frank Haggard, seines Zeichens Träger des Nobelpreises für Medizin des Jahres 2032, war erstens Arzt, zweitens Australier und drittens glühender Rugby-Fan. Für einige Jahre hatte er diesen Sport sogar professionell betrieben. Kaum aus seiner Klinik in Äthiopien nach Terrania umgezogen, hatte er eine Rugby-Mannschaft auf die Beine gestellt. Seither bemühte er sich, wann immer es seine spärliche Freizeit erlaubte, um die Etablierung einer Terranischen Amateur-Liga.
Der Spielplatz lag an der Peripherie der Stadt, in jener Zone, wo die zahlreichen, rund um die Uhr betriebenen Baustellen abrupt in unberührte, karge Staubwüste übergingen. Das hundertvierzig Meter lange und halb so breite Feld war ein leuchtend grüner Fleck inmitten der graubraunen Einöde. Allerdings hatte der Rasen schon ziemlich gelitten, was auch für nicht wenige der Spieler galt.
Erstaunlich flott löste sich der Pulk aus ineinander verhakten, muskelbepackten Männerkörpern auf. Der eiförmige Ball wurde aufgenommen und schräg nach hinten gepasst. Kaum hatte Haggard sich hochgerappelt, stürzte er sich schon wieder ins Getümmel. Er lief zurück, forderte und bekam den Ball, rannte damit einige Schritte auf die Gegner zu, ließ mit einer Körpertäuschung ein, zwei Verteidiger ins Leere stolpern, aber gleich darauf wurde er unsanft zu Fall gebracht. Allerdings hatte er diesmal im letzten Moment, bevor er umgerissen wurde, den Ball weitergereicht und zugleich eine Lücke für seine Mitspieler geschaffen, die sofort die entstandene Überzahlsituation ausnutzten. Eine rasche Folge kurzer Pässe seitwärts, mehrere beeindruckende Sprints, dann landete das Ei wieder bei Haggard, der es mit einem Hechtsprung hinter der Torlinie ablegte.
Der Schiedsrichter pfiff. Haggards Mannschaft jubelte und wenig später gleich nochmals, als auch der Erhöhungskick verwandelt worden war, von keinem Geringeren als Haggard persönlich.
»Faszinierend«, kommentierte Lekoche Kuntata. »Und da bezeichnet man uns Massai als Exoten mit archaischen Gebräuchen ...«
Caroline lachte. Inzwischen waren sie bis zum Spielfeldrand vorgedrungen. Angesichts des schönen Wetters hatten sich einige Hundert Zuschauer auf der gegenüberliegenden, schlichten Tribüne versammelt. Auch Ferronen waren darunter; nicht zufällig, denn einige ihrer Artgenossen hatten mitgespielt.
Drei, vier Minuten verstrichen ohne weiteren Punktgewinn eines Teams, dann erfolgte der Abpfiff. Frank Haggard ließ sich gebührend feiern. Schließlich humpelte er vom Feld, entdeckte Caroline und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Hallo! Welche Ehre!«, rief er. »Bist du schon länger hier? Hast du unsere Schlussoffensive gesehen? Was für ein Comeback! Drei Versuche plus Erhöhungen am Stück!«
»Das heißt, ihr habt gewonnen?«
»Einundzwanzig zu neunzehn. Knapp, aber doch.« Der Arzt hatte eine Schwellung über dem rechten Jochbein und sah recht lädiert, aber sehr zufrieden aus.
»Gratuliere.«
»Ebenfalls«, sagte Lekoche.
Haggard kniff die Augen zusammen. »Kuntata, bist du das?«
»Ja. Hier, direkt vor dir.«
Caroline zog ihren Pod aus der Nierentasche, schaltete die Aufnahmefunktion ein und reichte das Gerät an Haggard weiter, damit er leichter mit dem Jungen kommunizieren konnte. »Wir haben ein paar Kilometer entlang des Stadtrands abgespult.«
»Sei gegrüßt, Lekoche.« Den Pod vorm Auge, reichte Haggard dem Massai die Hand. »Schön, dass du wieder unter die Leute gehst.«
»Na ja, sie bekommen nicht viel davon mit.«
»Vorerst noch. Aber ich bin zuversichtlich, dass du über kurz oder lang lernst, dein Talent bewusst einzusetzen; beziehungsweise es immer dann zu unterdrücken, wenn du als ganz normaler Mensch erscheinen willst.«
»Einstweilen habe ich, ehrlich gesagt, nicht die leiseste Ahnung, wie ich das anstellen soll.« Der Junge bemühte sich, einen optimistischen Unterton in seine Stimme zu legen. Dennoch klang eine tiefe Verzweiflung durch.
Stell dir das einmal vor, dachte Caroline. Von einem Augenblick zum nächsten bist du für deine engsten Angehörigen nicht mehr wahrnehmbar, außer du schläfst. Viele fürchten sich vor dir, weil sie dich für verhext
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