PR NEO 0045 – Mutanten in Not
verschwenden.
Andererseits bereitete es ihm einen gewissen Spaß, sich vorzustellen, was demnächst in der Bude der chauvinistischen Idioten vorgehen würde. Ihnen musste ihr Wortführer wie ausgewechselt erscheinen – und damit hatten sie ausnahmsweise einmal völlig recht.
Manchmal kam Noir seine Gabe selbst unheimlich vor. Es fiel ihm fast zu leicht, mit einem einzigen Wimpernschlag genau das zu bekommen, was er sich wünschte.
1.
Die Herausforderung
Der 29. April 2037 war der erste richtig warme Frühlingstag seit Bestehen der Stadt Terrania. Nach dem langen, harten Winter in der Gobi kletterte die Thermometersäule endlich über zwanzig Grad Celsius. Die Terraner, wie sich viele Bewohner der buchstäblich aus dem Wüstenboden gestampften, neuen Weltmetropole mittlerweile nannten, genossen den strahlenden Sonnenschein, wenn möglich im Freien; und wie so oft in Übergangszeiten war jeder Zweite erkältet.
Auch Caroline Frank schnupfte vor sich hin. Sie machte sich nicht viel daraus. Um diese Jahreszeit war es ihr, als sie noch in Deutschland gelebt und bei der Bundespolizei gearbeitet hatte, meist ähnlich ergangen. Sie kam nicht einmal auf die Idee, einen der Ärzte des Lakeside Institute oder des Terrania Central Hospitals zu konsultieren; die hatten mehr als genug mit wirklich schweren Fällen zu tun. Nasentropfen und Vitamin C konnte sie sich auch selber verschreiben. Außerdem hegte sie insgeheim die Befürchtung, man könnte ihr, obwohl sie ziemlich sicher war, kein Fieber zu haben, sicherheitshalber Bettruhe verordnen. Gerade an einem herrlichen Tag wie diesem wollte sie keinesfalls auf eine ausgedehnte Joggingrunde verzichten.
Caroline nieste und wischte sich die Nase ab, ohne ihren lockeren Trab zu verlangsamen.
»Gesundheit«, sagte eine Stimme zu ihrer Linken.
Sie blickte zur Seite und konzentrierte sich. Neben ihr lief ein schmächtiger Jugendlicher, fast noch ein Kind. Lekoche Kuntata selbst verstand sich freilich als erwachsenen Mann. Schließlich war er vor vier Monaten durch den Ritus der Beschneidung zum Krieger geworden, zum Morran, wie der Begriff in der Sprache der Massai lautete.
Kurz danach war er verschwunden; genauer gesagt, unsichtbar geworden.
In Wahrheit hatte sich seine Paragabe manifestiert: Lekoche wurde, ob er es wollte oder nicht, übersehen. Offenbar strahlte er etwas aus, was jedermann in seiner Umgebung quasi seine Anwesenheit vergessen ließ.
Möglicherweise war das seltsame Talent zum Ausbruch gekommen, weil er für die Enkipaata -Zeremonie, die der Emuratare genannten Beschneidung voranging, zum Olopolosi olkiteng auserkoren worden war, zum nominellen Häuptling der Jungen, der allerdings sämtliche Sünden seiner Altersgruppe auf die Schultern nehmen musste. Hatte Lekoches Unterbewusstsein einen Weg gesucht, sich dem Joch der Verantwortung zu entziehen, und auf diese radikale Art gefunden? Möglich. Die Begabung, aufs Erste mehr Fluch als Segen, wirkte jedenfalls nur, wenn er bei Bewusstsein war, und technische Geräte wie Kameras oder Bewegungsmelder wurden davon nicht beeinflusst.
Zeitgleich war der Junge schwer erkrankt. Zu seinem Glück hatten ihn Ärzte entdeckt, die gegen die bei den traditionell lebenden Massai-Stämmen in Kenia weitverbreiteten HIV-Infektionen ankämpften. Und zwar nach von Dr. Frank Haggard entwickelten Methoden – weshalb die Ärztegemeinschaft mit Terrania Central in Verbindung stand. Dorthin war der komatöse Lekoche überstellt worden und nach erfolgreicher medizinischer Behandlung im Lakeside Institute gelandet, wo ihn Caroline Frank kennengelernt hatte.
Ihre Affinität lag auf der Hand.
Caroline besaß ebenfalls ein Psi-Talent; man nannte sie die Findermutantin. Sie vermochte die Verbindung zwischen einem verlorenen Gegenstand oder verschwundenen Personen und den jeweiligen Suchenden zu erspüren. Auf diese Weise hatte sie, noch als Polizistin, nach abgängigen Kindern und Jugendlichen gefahndet und später, nachdem sie sich Perry Rhodan angeschlossen hatte, unter anderem zur Lokalisierung der arkonidischen Unterwasserkuppel vor den Azoren beigetragen sowie Sid González auf die Fährte des entführten Fantan in den Anden gebracht.
Gegen Lekoche Kuntatas Pseudounsichtbarkeit war selbst Caroline nicht immun. Aber dank ihrer Findergabe fiel es ihr relativ leicht, die parapsychische Täuschung abzuschütteln. Was Wunder, dass die beiden sich im Lakeside angefreundet hatten.
»Du musst nicht jedes Mal ›Gesundheit‹ sagen,
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