PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht
Beleuchtung in der Halle war gedämpft, alle Flächen so schwarz wie Obsidian, der Boden von zahllosen winzigen Lichtern gesprenkelt. In der Mitte der Halle konnte sie über die Köpfe der Besucher hinweg eine schwarze Säule auf einem runden Podest ausmachen. Die Säule hatte einen Durchmesser von etwa vier Metern und endete abrupt kurz unterhalb der Decke. Im Gegensatz zu den schwarz glänzenden Flächen der Halle spiegelte diese Säule weder die Lichter, noch ließen sich ihre Konturen wirklich erfassen. Sie verschluckte einfach alles, wirkte wie ein Bolzen, den man in die Wirklichkeit getrieben hatte; oder wie die Leere, die dieser Bolzen nach seinem Verschwinden hinterlassen würde. Um sie herum scharten sich mehrere Sternendiener in langen, dunklen Roben. Die schiere Masse an Gläubigen in dieser Halle war erschreckend.
»Erinnern Sie mich daran, dass ich alle Kosten, die dieses Spektakel den Sicherheitskräften und Medizinern verursacht, dem Orden der Lotsen in Rechnung stelle«, flüsterte Ihin da Achran dem Offizier zu, der ihre Eskorte führte.
Da glitt der Hohe Lotse in seinem schwarzen Körperfilm aus der Säule. Um den Hals trug er eine Kette mit einem Silberreif, die er nun abstreifte und hochhielt, dass man die Schwärze der Säule durch den Reif hindurch sah. Die Sternendiener stießen »Ohs« und »Ahs« aus. Winzige Drohnen überall in der Halle übertrugen sein Bild auf die Netzhaut aller Besucher, die keine direkte Sicht auf ihn hatten.
»Aus der Leere entsteht das Sein, und alles Sein strebt in die Leere«, sprach der Lotse, und seine Stimme klang voll und unmöglich nahe, so als stünde er direkt vor ihr. »Was die Leere gebiert, nimmt sie zurück, wenn sie die Zeit für gekommen hält. Nur in der Leere kann es Ruhe geben, völligen Frieden und absolute Harmonie. Anetis, Herr der Leere! Höre uns, wenn wir dich grüßen, und leite uns durch die Endliche Nacht.«
Ihin da Achran seufzte leise. Wenn es so weiterging, würde es ein langer Abend werden; doch umständliches Zeremoniell war ihr nach all den Jahren am Hofe wechselnder Imperatoren alles andere als fremd. Die Hochzeit von Prinzessin Salkaradjada beispielsweise hatte volle drei Wochen gedauert und die planetare Produktion eines ganzen Monats verschlungen. Oder damals, als Hofmarschall Kharlor da Merat im Sterben lag und man sich ein halbes Jahr lang beinahe täglich auf das Ableben des gehässigen Greises einstellte, nur um ein ums andere Mal enttäuscht zu werden ...
Sie kam wieder zu sich, als die Krähe endlich zum Schluss ihrer Ansprache kam. »Anetis ist nun bereit, die Geschenke und Fürbitten der Reisenden zu empfangen.«
Die ersten Gläubigen wollten schon die Stufen zur Säule erklimmen, doch der Hohe Lotse hob die Hand, ein helles Licht fiel auf Ihin da Achran, und alle Blicke in der Halle richteten sich auf sie. »Vielleicht möchte die Rudergängerin unseres ... außergewöhnlichen Trosses uns die Ehre erweisen, den Anfang zu machen. Es wäre dem Anlass nur angemessen.«
Innerlich verfluchte sie ihn dafür, wie er sie nun vor aller Augen zum Mitspielen zwang. Auch die Spitze auf ihre vermeintliche Verfehlung und ihren Hochmut war ihr nicht entgangen. Andererseits war es Sinn der Übung, die Lage zu entspannen und ihren Schutzbefohlenen zu demonstrieren, dass Lotse und Rudergängerin am selben Strang zogen und nicht gegeneinander arbeiteten. Außerdem kam sie so vielleicht schneller zur VAREK'ARK zurück. Beim Gedanken daran, dass sie das stolzeste und mächtigste Schiff der Flotte der Obhut Nertan da Hindurs anvertraut hatte, war ihr, als hätte sie ein Kind allein mit einem Desintegratorgeschütz gelassen: Man hatte immer Angst, dass eins von beiden nicht mehr da war, wenn man zurückkam.
Also nahm sie Haltung an und schritt so feierlich und ruhig zu der Säule, dass man bedenkenlos eine Tasse K'amana auf ihrem Kopf hätte abstellen können. Ihre Eskorte begleitete sie, doch die Menge machte auch so Platz. Die meisten von ihnen kannten die Rudergängerin nur von Holos und vom Hörensagen, und befriedigt registrierte sie, dass den meisten bei ihrem schillernden Anblick eine gewisse Ehrfurcht in den Augen stand. Sie fragte sich, wie viele gestern noch öffentlich oder insgeheim gegen sie agitiert hatten.
Vor der Säule blieb sie stehen. Khe'Rhil nickte ihr aufmunternd zu. »Treten Sie ein, Rudergängerin. Anetis erwartet Sie.«
Sie wusste, dass es sich bei der vermeintlich massiven Säule um eine Art Deprivationsfeld
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