PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht
fliehen, Herr! Rasch!«
Mir war furchtbar kalt. Normalerweise ließ er mir die nötige Zeit, mich vom Kälteschlaf zu erholen, reichte mir warme Kleidung und etwas zu trinken. Doch nicht heute.
Etwas ist passiert, erkannte mein Logiksektor, noch während sich mir fast der Magen umdrehte, als das Adrenalin meinen geschwächten Kreislauf durchflutete.
»Steh auf, Herr!«
Mühsam kämpfte ich mich auf die Beine. Meine Glieder zitterten, und ich sah bunte Flecken vor den Augen. Es war nicht die Dauer des Schlafs, die mich geschwächt hatte, wie ich mich mit einem Blick auf die Anzeige neben der Liege überzeugte. Es war die Prozedur selbst und wie abrupt mich Rico aus dem Kälteschlaf gerissen hatte. Selbst der Aktivator hatte daran nie etwas geändert. Der Zellaktivator bedeutete Leben – doch nie war ich der Kälte des Todes so nahe, wie wenn ich auf dieser Liege lag.
»Herr! Bitte beeil dich!«
Es war das Jahr 2036. Ein Jahr zu früh. Oder schon 2076? Ich wachte nicht zum ersten Mal in diesem Jahr auf ... Tombe Gmuna schwingt die Armlehne des zertrümmerten Stuhls wie eine Keule über dem Kopf, ehe er stirbt. Auf dem Display hinter ihm startet gerade eine Rakete.
»W... was ist los?«, stammelte ich und zwängte mich in den alten raumtauglichen Overall, den er mir an die Brust drückte. Wüsste ich es nicht besser, ich hätte gesagt, die Furcht stand ihm in die haselnussbraunen Augen geschrieben.
»Der Feind hat unser Versteck gefunden! Komm!«
Desorientiert stolperte ich ihm nach und stieß dabei gegen die zweite Kälteschlafliege, auf der seit so langer Zeit niemand mehr Platz genommen hatte.
Rico führte mich vorbei an der geheimen Kammer, in der wir Schätze und Andenken aus Jahrtausenden des Exils verwahrt hatten – mehr Leben, mehr Trauer, als je ein Mensch ermessen konnte –, und in den Hauptbereich der Kuppel, den der Baumeister Kosol ter Niidar einst als mögliche Zuflucht für die arkonidischen Siedler erdacht hatte. Einer von vielen Träumen, die im Geschützfeuer der Methans zu Asche verbrannt waren.
Rico führte mich in Richtung des Hangars. Da erst dämmerte mir, wie ernst unsere Lage sein musste. Er wollte mit mir fliehen!
»Positronik!«, rief er im Rennen. »Unautorisierte Personen versuchen sich Zutritt zur Kuppel zu verschaffen. Das darf auf keinen Fall geschehen!«
»Es kam zu keinem Bruch der Sicherheitsprotokolle«, sagte die Positronik mit ruhiger Stimme. »Die Gäste haben den Hangar gerade erreicht.«
Eine seltsam widersprüchliche Antwort ... Was für Gäste? Was für Feinde?
Rico zischte wütend – es war verblüffend, wie menschlich er manchmal wirkte – und vollführte eine ungeduldige Zauberergeste, worauf ein Holo des Hangars vor ihm in der Luft erschien. Die ovale Halle war hell erleuchtet. Eine Kontur schälte sich gerade aus dem Wasser, ein metallischer Leib. Doch es war kein Tauchboot, es war ...
»Das ist ein arkonidischer Aufklärer!«, stieß ich aus. »Was hat das zu bedeuten?«
»Positronik!«, befahl Rico und packte meinen Arm. Klang es so, als wäre er im Begriff, die Kontrolle über die Situation zu verlieren? Ich hatte ihn noch nie so gehört. »Ich möchte, dass du die Eindringlinge aufhältst! Es dürfen keine unautorisierten Personen die Kuppel betreten! Das ist ein Befehl erster Priorität!«
»Verstanden«, bestätigte die Positronik ruhig. Das Hologramm erlosch im selben Moment, in dem sich die Pilotenkanzel des Aufklärers öffnete.
»Schnell, Herr!« Rico zog mich am Arm. Weshalb war es ihm so wichtig, den Eindringlingen zu entkommen? Wieso stellten wir sie nicht im Kampf? »Wir müssen die Kuppel sofort verlassen.«
»Aber wenn der Weg zum Hangar abgeschnitten ist ....« Mein Gehirn hatte immer noch Mühe, die Vielzahl der Informationen zu verarbeiten. So viele Bilder, die mit einer einzigen Geste, einem Augenaufschlag vergingen ...
Die Spartaner wussten sehr gut, dass ihr König Tyndareos nicht Helenas leiblicher Vater war. Dass sie aber ihrer Mutter Leda eine Affäre mit dem Göttervater Zeus andichteten, der in Gestalt eines stattlichen Schwans ihr Lager geteilt haben sollte, war für alle Beteiligten mehr als schmeichelhaft ...
»Herr!«
Ich schüttete die Erinnerung ab und folgte ihm weiter. »Wohin gehen wir?«
»Es gibt einen anderen Weg aus der Kuppel. Vertrau mir!«
Rico führte mich durch einen Gang und mehrere Türen in eine kleine Lagerhalle, die ich noch nie gesehen hatte. Das wunderte mich, denn ich hätte nicht gedacht,
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