PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht
dass es Bereiche der Station gab, die ich nicht kannte. Schätze, die ich noch nicht gesehen hatte ...
Du hättest auch nicht gedacht, dass ausgerechnet Lisa del Giocondos Gesicht einmal zum berühmtesten Antlitz der Welt werden würde. Niemand weiß mehr, wie Helena aussieht. Die Frau des Seidenhändlers dagegen ...
»Komm weiter, Herr!«
Tatsächlich hätte die kleine Halle vor mir ein Museumsraum sein können: klar und leer und hell im kalten Licht der Deckenplatten. Doch was da vor mir stand, war keine Skulptur, sondern eine Maschine. Eine schlichte, sehr, sehr alte Maschine ...
Ich hatte sie noch nie gesehen.
»Was ist das?«
»Unsere einzige Möglichkeit, hier rauszukommen.« Er trat an die rechte der beiden Säulen des Geräts und bediente eine Steuerkonsole, die mir zuvor nicht aufgefallen war. Er wirkte nicht sonderlich glücklich, als er das tat.
Dann begannen die Säulen zu glimmen und zu leuchten und bildeten schließlich einen Funken schlagenden Bogen über der zentralen Plattform. Mit offenem Mund trat ich zurück. Was für eine Höllenmaschine hatte Rico da in unserer Zuflucht vor mir versteckt? Ein schwarzer Schlund tat sich in der Mitte des Bogens auf. Ich roch Ozon, und ich spürte einen Luftzug, wo zuvor keiner gewesen war. Der Schlund gähnte mir entgegen wie die bodenlose, raumlose Tiefe eines Schwarzen Lochs.
»Schnell, Herr!«
Rico zog mich auf die Schwärze zu. Erst wehrte ich mich. Ich wollte da nicht hinein. Die Schwärze schien mir wie die Schwärze jenes Todes, dem ich seit zehntausend Jahren Nacht um Nacht ein Schnippchen geschlagen hatte. Dann, als mein Arm unter dem festen Griff des Roboters schon zu schmerzen begann und er mich abermals mit diesem ungewohnten, fast flehentlichen Ausdruck ansah, gab ich nach.
»Ich grüße dich, Rico«, sagte die Positronik in diesem Moment.
Was hatte das alles zu bedeuten?
Rico zog mich mit in das bodenlose Nichts.
11.
Anra'Thir'Nom
Die Dunkelheit des Raums zwischen den Welteninseln war unermesslich und vollkommen. Sie war aber nicht unabänderlich. Im Laufe der Jahrmilliarden änderte sie ihre Gestalt, wogte wie ein dunkles Meer, in dem die Galaxien, Kontinenten gleich, ihre dumpfe Wanderschaft vollzogen, Schildkröten auf ihrem Wettrennen ans Ende der Zeit. Dazwischen, in der Tiefe der schwarzen See, trieben Plankton und Sandkörner, manchmal eine einsame Flaschenpost aus einem längst vergessenen Land. Die ersten Lotsen glaubten noch, dass Ungeheuer am Boden dieses Ozeans lebten und mit wachen, starren Augen die Schiffe verfolgten, die ihn durchmaßen. Manche von ihnen begannen, aus blanker Furcht zu ihnen zu beten, und aus diesen Kulten wurde der Glauben an die Sternenteufel geboren. Andere hielten diesen Glauben für Ketzerei. Es kam zum Schisma, und die Häretiker wurden aus der Ordensgemeinschaft der Khe'Mha'Thir ausgestoßen.
Anra'Thir'Nom glaubte nicht, dass die Sternenteufel Ungeheuer waren. In seiner Vorstellung hatten sie ebenso wenig eine Gestalt wie die Sternengötter – bis auf die, die Anetis sich manchmal zu geben beliebte, wenn er zu den Lotsen sprach, im Schutz eines Sanktuariums, während einer Zeremonie. Doch er glaubte an die Wirklichkeit der Leere und was in ihr existierte: Die Leere gebar, und sie nahm. Und manchmal schien sie eines ihrer Kinder zu vergessen.
Der Hohe Lotse saß in der Beobachtungskuppel am Nordpol des Flaggschiffs, versunken in tiefe Meditation. Er tauchte hinab in die Leere, öffnete sich dem, was er in ihr fand. Es war der zwanzigste Tag ihrer Reise. Der schmutzig graue Kreisel von Hamtar-16 rollte unter ihnen vorbei, während sie Fahrt aufnahmen, erhellt von der verschwenderischen Vielzahl von Positionslichtern und Scheinwerfern des Trosses, die gestochen scharf über seine verbeulte Oberfläche wanderten.
Darunter schlummerte der tiefe Schatten einer Welt ohne Sonne. Sie rotierte nicht und hatte keine Satelliten außer der künstlichen Insel und den Raumschiffen, die sich um sie geschart hatten. Ihre Atmosphäre hatte einen dicken Eispanzer um sie gebildet. Sonnenlos, gezeitenlos lag sie unter Anra'Thir'Nom wie ein weiter, erstarrter Ozean. Der Anblick rührte ihn an, und er beschloss, in Gedanken noch etwas zu verweilen.
Der Geist des Lotsen schwebte auf den gefrorenen Meeren aus Luft, aus denen vereinzelt stählerne Finger aufragten, als griffen sie aus ihrem Eisesgrab und flehten um Hilfe. Die Scheibe der Galaxis schimmerte mit dem Licht von über zweihundert Milliarden Sonnen auf
Weitere Kostenlose Bücher