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PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht

PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht

Titel: PR NEO 0053 – Gestrandet in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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Augen bestanden nun aus einer Iris mit einer schwarzen Pupille in der Mitte. Ich hatte Roboter auf den Kolonien gesehen, die weniger lebensecht aussahen. Und dennoch ...
    Willkommen im Uncanny Valley. Was sind diese Geschöpfe? Lebewesen? Maschinen?
    »Geht es euch gut?«, fragten sie fröhlich.
    »Sicher. Auch euch scheint es richtig blendend zu gehen«, sagte ich.
    »Aber ja«, frohlockten sie. »Bald wird er kommen, oh, bald ist er hier!«
    Sie stellten ihre Sachen ab und ließen uns wieder allein.
    Den Tag über gab es nicht viel zu tun. Ricos makabres Gerät war vollendet; er hoffte darauf, dass es, wenn er es mit dem Transmitter verband, eine weitere Störung unserer Zielkoordinaten unterbinden würde. Woher er diese Geräte und ihre Funktionsweise kannte und wer genau dieser für unseren Abstecher nach Derogwanien Verantwortliche war, hatte er mir immer noch nicht verraten. Ich hatte ihn gedrängt bis zu dem Punkt, an dem ich fürchten musste, eine gewalttätige Reaktion in ihm heraufzubeschwören.
    Im Dorf herrschte derweil buntes Durcheinander. Es hatte den Anschein, dass die kleinen Wesen ein Fest für die Ankunft ihres Herrn vorbereiteten. Sie schmückten die Straßen und Dächer mit bunten Wimpeln und häuften in Sichtweite unseres Hauses einen großen Holzstapel an. Ich fragte mich, was sie vorhatten, darauf zu verbrennen.
    Als unsere dritte Nacht in Derogwanien anbrach, machten wir uns bereit. Wir waren beide ausgeruht und bei Kräften, auch wenn ich die roten Beeren mittlerweile nicht mehr sehen konnte.
    Wie den vorigen Abend kamen die Wachen herein, um das restliche Geschirr abzuräumen und um zu sehen, was wir taten oder ob wir noch etwas brauchten. Im Zwielicht hätte ich sie nicht mehr von lebenden Wesen unterscheiden können. Sie hatten nun eine Mimik, ihre Nasenflügel weiteten sich beim Atmen, und das Misstrauen stand ihnen deutlich in die Gesichter geschrieben, als sie nur mich auf meinem Bett entdeckten und sich suchend umblickten.
    »Wo ist der andere?«, fragten sie.
    In diesem Moment trat Rico aus dem Schatten hinter der Tür hervor, packte die Köpfe der kleinen Wesen mit festem Griff und schlug sie krachend gegeneinander. Dann riss er einem den Kopf herum, worauf er in groteskem Winkel abstand. Das Wesen zuckte, erschlaffte aber nicht, sondern setzte sich trotz seines gebrochenen Genicks zur Wehr. Ich hatte derweil die andere Wache gepackt, die strampelte und nach ihrem Knüppel zu greifen versuchte, und hielt ihr den Mund zu. Ich sah voll Grauen zu, wie Rico die andere Puppe zu Boden warf, ihr den Fuß in den Nacken setzte und zweimal, dreimal kräftig zutrat, bis etwas vernehmlich knackte. Dann trat er schnellen Schrittes auf mich zu, entwendete mir den Gefangenen und zerbrach ihn auf seinem Knie wie einen schweren Ast.
    »War das wirklich nötig?«, fragte ich, denn ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mit einer gewissen Befriedigung ans Werk gegangen war. Ich wollte lieber nicht genau hinsehen, was aus den Puppen geworden war: Lagen sie in einem Bett von Splittern und Zahnrädern oder in einer Lache ihres eigenen Blutes?
    Rico gab keine Antwort und entkleidete einen der Leichname. Noch während er es tat, schrumpfte er vor meinen Augen und nahm die Gestalt der toten Puppe an. Ich hatte ihn diese Gabe erst selten vor meinen Augen anwenden sehen, und noch nie war die Verwandlung so dramatisch gewesen: Sie musste jeden Bereich seines Körpers betreffen, was für Wunder auch immer sich daran verbargen. Ich fragte mich, ob er auch die Gestalt eines Tiers annehmen konnte oder eines Naats oder eines Methans.
    Als er nur noch so klein wie ein Kind war, trat er aus dem Haufen seiner viel zu großen Kleider und legte Hose, Hemd und Weste der toten Puppe an. Dann schulterte er ihr Gewehr und reichte mir den Knüppel der anderen. Er war im Dunkeln nun nicht mehr von einem Bewohner dieses Dorfes zu unterscheiden. Seinen bizarren Apparat steckte er sich in die Westentasche.
    »Komm!«, sagte er. »Halte dich hinter mir!«
    Er verließ das Haus wie selbstverständlich und schaute sich kurz um. Dann gab er mir einen Wink, und ich huschte hinter ihm von Schatten zu Schatten.
    Das Dorf lag wie ausgestorben unter den Monden. Dabei stand alles für ein großes Bankett bereit: Ich sah Bänke und Tafeln, schüsselweise Beeren, Krüge mit einem süßlich duftenden Getränk, Lampions, um die sich die Nachtfalter scharten, Fideln und Gamben und Trommeln, doch nur gelegentlich den Schatten

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