PR Posbi-Krieg 05 - Die Psi-Fabrik
Hundertfüßler über ihr. Der Schatten seines Fühlerbündels tanzte im Feuerschein, und auf einmal fühlte Tamra sich an die Heelghas damals im Internat erinnert. Es war zu ihrem Erstaunen keine unangenehme Erinnerung. Tamra dachte an die lustigen seeanemonenartigen Auswüchse auf dem Kopf der birnenförmigen Wesen, die den Lehrkörper des Internats gebildet hatten. Wärme und ein Gefühl von Geborgenheit machten sich in ihr breit. Sie drehte sich auf die Seite, kuschelte sich mit dem Bauch und den Schenkeln um ein Schwammkissen herum.
»Tibala?« Ihre eigene Stimme kam ihr weit entfernt vor. »Erzählst du mir eine Geschichte? Ein Märchen ... ich bin so müde.«
»Ein Märchen.« Das Wesen schien zu stutzen, aber es klang nicht unangenehm berührt, sondern einfach nur überrascht. »Ja, das kann ich wohl tun.« Der Hundertfüßler kam mit wimmelnden Bewegungen ein Seil hinuntergekrabbelt und legte sich auf den Rand des Nestes, ließ einige seiner vielen Beine baumeln. Tamra hatte das Gefühl, von ihm nur zu träumen.
»Die Geschichte von der Seherin Mesehi«, verkündete Tibala. »Sie erzählt von unserem Ursprung. Sie ist in dieser Form beinahe zweitausend Jahre alt... Hörst du?«
»Ja«, hauchte Tamra. Ja, Mama.
Sie schlief bereits wieder halb, als die warm brummenden, geflüsterten Worte sich in ihren Geist rankten.
Acht
Dies ist unser Märchen. Hören wir also.
Die Seherin Samarakodi war tot. Die junge Mesehi hatte bei ihr ausgeharrt. Die junge Mesehi und niemand sonst? Ja. Noch im Sterben sind wir von Leben umhüllt, aber eine Seherin war es weniger als du, als ich. Die Seherin träumte allein, starb allein. Nahm nur ihre Schülerin mit hinein in den letzten Ritz. Falls sie eine hatte.
Samarakodi war also tot. Mesehi rief einen Alles-für-euch, und er kümmerte sich um die Tote. Mesehi sah ihm nach. Dann brach sie auf. Zu Fuß. In der Nacht lief sie, am Tag verbarg sie sich. Nacht für Nacht lief sie, wie Samarakodi ihr aufgetragen hatte.
Hinter ihr kam Hitze. Kinder schlüpften, Alte starben, der Ruf in die Fabrik erklang. Fraufeste. Und wieder Hitze. Wieder Wachsen. Sterben. Fraufeste. Der Ruf. Und immer noch lief Mesehi. Wie Sa-marakodi ihr aufgetragen hatte. Und immer noch war Mesehi jung.
Sie dürstete. Sie hungerte. Sie wurde wahnsinnig vor Hunger. Auch vor Einsamkeit, so fern von ihrem Haufen. Wilde Tiere kamen, um sie zu fressen. Mesehi lachte sie aus. Die Tiere sahen sie nicht mehr. So lief Mesehi bis in das Land, zu dem der Winter kommt. Kann eine Ueeba so weit laufen? Ohne einen Alles-für-euch, der sie trägt? Wo das Land, zu dem der Winter kommt, doch jenseits des Meeres liegt?
Mesehi konnte. Und immer noch war Mesehi jung. Noch! Sie war nun fast schon eine Frau.
Sie legte sich in eine Höhle. Sie wartete. Der Winter kam. Daheim gab es Hitze, Kinder, Tod. Gab es Fraufeste und Spiele und Musik. Mesehi aber lag im Schnee. Sie spielte nicht, sie starb nicht, sie träumte. Und als der Winter ging, erwachte sie. Und als sie wach war, trat sie vor die Höhle. Und oben, am Himmel, sah sie den Schleierstern. Er schien zu rasen, und doch bewegte er sich ganz langsam zwischen den Sternen. Mesehi sah ihn. Wie Samarakodi gesagt hatte. Mesehi sah die Bahn, die er nehmen würde.
Mesehi beeilte sich, zu ihren Schwestern zurückzukehren. Oh, wie sie sich beeilte! Sie rief den erstbesten Alles-für-euch heran, der ihr begegnete. Er trug sie in Windeseile zurück. Sie glitt hinaus. Ein Fest! Eine Festnacht für ihren Haufen!
»Ich kann ihn sehen!«, rief Mesehi. »Den Schleierstern! Er kommt!«
Ihre Schwestern feierten Mesehi. »Wir haben eine neue Seherin! Sie lebe hoch!«
Ach, die Frauen! Immer wollen sie begnadete Kinder. Immer wollen sie wissen, wann der Stern kommt, der begnadete Kinder schenkt und den doch nur die Männer sehen können, nun, da es keine Seherinnen mehr gibt.
Sie feierten ihre Schwester Mesehi, und dann ließen sie die Seherin Mesehi allein.
Seherinnen waren Wintermädchen. Sie gehörten nicht zu den Frauen. Sie gehörten dem Weiß. Dem Frost. Der Nicht-Hitze.
Mesehi machte es nichts aus. Nachts betrachtete sie den Schleierstern, tags lag sie in ihrem Ritz und träumte. In ihrem Ritz! Kein Haufen mehr für Mesehi. Keine Feste, nichts.
Litt Mesehi? Sie litt nicht. Sie war ein Wintermädchen. Sie genoss den Frieden des Schleiersterns.
Aber Mesehi war klug, darum hatte Samarakodi sie einst erwählt. Mesehi wollte wissen.
»Ich frage mich«, sagte sie eines Tages und
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