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PR Rotes Imperium 01 - Die fossile Stadt

PR Rotes Imperium 01 - Die fossile Stadt

Titel: PR Rotes Imperium 01 - Die fossile Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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Abendblatt. Du weißt schon: über die Folgen der Schwabinger Krawalle von Zweiundsechzig und die Zusammenhänge mit den Studentenunruhen Achtundsechzig…«
    »Bürgerlicher Klatschjournalismus ohne Tiefgang!«, tönte Johnny verächtlich.
    »Wahrscheinlich stampft Schellinger soeben mit hochrotem Kopf durch die Redaktionsräume, verflucht mich und lässt seinen Zorn an den Azubis aus. Du kennst ihn ja; ich muss ihm unbedingt etwas in den Rachen schmeißen, um ihn zu beruhigen. Sonst bin ich meine einzige regelmäßige Einnahmequelle los.«
    »Ja ja. Kein Verständnis für ein anstrengendes Künstlerleben, diese Zeitungsredakteure.« Johnny zog seinen silbernen Flachmann aus der Brusttasche und gönnte sich einen kräftigen Schluck. »Auch gut. Muss ich mich eben allein um den guten, alten Master Glenfiddich kümmern. Vielleicht küsst mich dann auch die Muse.«
    Sie überquerten die Straße, ohne nach links und rechts zu blicken. Der Verkehr in Schwabing war bei Weitem nicht so sehr von Hektik geprägt wie der in der Münchner Innenstadt.
    »Hast du nicht erzählt, du hättest eine neue, zweibeinige Muse gefunden?«
    »Stimmt.« Johnny nickte. »Sibylle heißt sie. Eine echte Wuchtbrumme.«
    »Sibylle. Hört sich spannend an.«
    »Nicht wahr?« Johnny drehte sich um. Ein O-Bus bog soeben in die Leopoldstraße ein und näherte sich mit kreischenden Bremsen dem hölzernen Verschlag des Stationshäuschens. Grelle Überschlagsblitze zogen sich über die Stromleitungen.
    »Glück gehabt!«, schnaufte der Maler. »Mein Bus. Du willst wirklich nicht mitkommen, Ernst?«
    »Nein, danke. Die Miete will bezahlt und der Kühlschrank gefüllt werden. Ich hab mir das Ding nicht nur aus Dekorationszwecken gekauft.«
    »Kapitalist!«
    »Bolschewist!«
    Sie grinsten sich zum Abschied an, Johnny stieg in den Bus, das Fahrzeug setzte sich schwerfällig in Bewegung.
    »Endlich!«, seufzte Ernst Ellert, »endlich Ruhe.«
    Das Schreiben ging ihm unendlich schwer von der Hand. Er wusste ganz genau, was er sagen und was er ausdrücken wollte, doch die Worte fanden nicht so zueinander, wie er es wollte. Durch seinen Kopf stampften Tausendschaften ameisengroßer Soldaten und grölten Marschlieder. Er schwitzte heftig, auch die Zigaretten wollten nicht schmecken.
    Und dann erst die Schreibmaschine…
    Jeder einzelne Anschlag dröhnte wie Glockengebimmel. Die Finger bogen sich wie Gummi und brachten kaum jene Stärke zustande, die er benötigte, um die Schrift durchs Kohlepapier auf zwei Durchschläge zu bringen.
    Sehnsüchtig dachte Ellert an die IBM-72. Die halbelektronische Kugelkopfschreibmaschine. Der Star in der Auslage von »Hartmuth’s Schreibwarenladen« in der Franz-Josef-Straße, knapp gefolgt von der SE-1000, dem neuen Modell von Triumph-Adler. Was für eine Erleichterung fürs Handgelenk und für die Finger, was für ein gleichmäßiges Schriftbild…
    Ein armer Schriftsteller wie er konnte von derartigen Dingen nur träumen. Er schrieb seine Texte auf einem Erbstück seiner Mutter, gut und gern zehn Kilogramm schwer; und es würde sich wohl so rasch nichts daran ändern. Es gab andere Prioritäten in seinem Leben.
    Endlich fertig. Die Mittagsglocken hatten längst gebimmelt, der Aschenbecher quoll von Kippen über. Ellert ließ sich erleichtert nach hinten fallen, faltete das zehnseitige Manuskript zusammen und schrieb letzte Korrekturen mit dem Füllfederhalter an den Rand. Dann griff er zum Telefonhörer und bestellte ein Taxi, das das Manuskript in die Redaktion bringen sollte.
    Er hatte es – wie immer – auf den letzten Drücker geschafft, die Miete für die nächste Woche war gesichert. Vorausgesetzt, es gelang ihm, trotz seiner Kopfschmerzen und dem teuflischen Halsweh seinen Charme am Telefon auszuspielen.
    Dieser zweite Anruf fiel ihm überaus schwer.
    »Münchner Abendpost«, meldete sich das Redaktionsfräulein.
    »Hier Ellert. Hallo, Resi. Alles in Ordnung bei dir? Wie geht’s der werten Frau Mama?«
    »Servus, Ernst!« Die berufsmäßig nüchterne Stimme klang gleich ein wenig freundlicher, nachdem er sich mit seinem Namen gemeldet hatte. Aber auch leiser. Resi flüsterte in den Hörer: »Mir geht’s gut, danke der Nachfrage, und Mutti ist von den Blumen noch immer ganz hin und weg. Du hast sie in der Tasche, du Schlawiner.« Resi seufzte. »Aber der Schellinger macht uns das Leben zur Hölle. Er tobt durch die Gänge und flucht gotteslästerlich, weil sich sein bester Feuilletonist standhaft weigert,

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