PR Rotes Imperium 01 - Die fossile Stadt
amüsierte sich.
Nahe einer Gruppe alter Linden stand eine armselig wirkende, verfallene Hütte. Am Vortag war sie noch nicht hier gewesen. Sie wirkte deplaziert. Ausgebleichte, morsche Hölzer waren lieblos aneinander genagelt, Lichtstrahlen fielen durch breite Spalten ins Innere des Knusperhäuschens. Die Hütte besaß einen Aufsatz; einen Art Hochstand, der von innen zu erreichen sein musste.
Neugierig geworden, ging Ellert darauf zu. Eine Windbö blies ihm durchs Haar. Sie brachte den Geruch nach Feuchtigkeit und Moder mit sich.
Seltsam. Die Hütte war weiter entfernt, als er eigentlich geglaubt hatte. Es fiel ihm schwer, die Füße voreinander zu setzen.
Ellert nahm es gelassen. Er kannte diese Symptome. In zu großen Mengen genossener Alkohol machte sich in Verbindung mit frischer Luft unangenehm bemerkbar. Seine Tiefensicht ließ zu wünschen übrig. Auch die Kälte, die er von seinen Beinen aufwärtskriechend spüren konnte, bedurfte keiner weiteren Erklärung.
»Nie mehr wieder«, schwor er sich leise, »lasse ich mich zu einem dieser Saufabende überreden. Und wenn mich Johnny noch so sehr ködert und wenn mir die Kumpels noch so verlockende Angebote machen…«
Ellert ging weiter, durch die sich immer feuchter anfühlende Wiese. Seine Füße platschten knöcheltief ins Wasser.
Unterlag er einer weiteren Täuschung?
Er musste sich ablenken, durfte ja nicht zu viel über die gestrige Nacht nachdenken. Frettel, der Mäzen der Gruppe, hatte eingeladen. Heinrich Lothar, der verkrachte Student, hatte stundenlang aus seinem Repertoire schmutziger Schüttelreime vorgetragen. Frettel, der überaus erfolglose Zahnarzt, der noch mindestens zwanzig Jahre lang an der Einrichtung seiner Arztpraxis abzahlen musste und viel lieber Barmixer geworden wäre, hatte herzhaft gelacht, während Regina, Ari, Uschi, Marianne und wie sie alle hießen, ungläubig zugehört hatten.
Die Frauen und jungen Mädchen… sie waren Musen, Freundinnen, Bewunderer und Bettgespielinnen. Angelockt von den so unterschiedlichen Talenten und Begabungen der kleinen Gruppe.
Ellert atmete tief durch. Es half nichts. Die Halluzinationen ließen sich nicht vertreiben. Seine Hosenbeine waren klebrig von feuchtem Sand, den es im Englischen Garten nicht geben durfte. Es stank nach Tang und verfaultem Fisch. Die Baracke wuchs vor ihm immer weiter in die Höhe, erreichte bald eine geschätzte Höhe von 15 Meter. Seine Blicke glitten an dem Gebäude ab, als wollte es nicht, dass man es genauer begutachtete. In einem Augenblick glänzte es metallisch, um gleich darauf wieder jenen hinfälligen Charakter zu erhalten, den Ellert beim ersten Hinsehen festgestellt hatte.
Ellerts Gedanken verwirrten sich, verloren sich in immer unwahrscheinlicheren Spekulationen. Die Baracke passte nicht hierher. Hatte er anfänglich angenommen, den Verschlag einer Gruppe von Vagabunden entdeckt zu haben, so wusste er nun, dass er sich geirrt hatte. Die Stadtverwaltung hätte den Bau augenblicklich wieder abgerissen und die Bewohner vertrieben.
Ratlos – und dennoch neugierig – ging er weiter auf das Gebäude zu. Seltsamerweise interessierte sich niemand außer ihm dafür. Die Kinder waren in irgendwelche Spiele vertieft, die Erwachsenen gaben sich anderen Belustigungen hin.
Wind kam auf, Wolken schoben sich über den Horizont und verdunkelten die schwächer werdende Nachmittagssonne. Endlich erreichte er die Baracke – und damit trockenen Boden. Die Hütte stand auf einer kleinen Anhöhe. Ellert zog Schuhe und Strümpfe aus. Er war klatschnass. Das Wasser hatte die steife Ledersohle durchweicht, die Zehen waren schrumpelig und weiß von der Kälte geworden.
Eine Tür klapperte in rostigen Beschlägen auf und zu. Holz schlug auf Holz, immer und immer wieder. Ellert spazierte umher, suchte nach Lebenszeichen eines möglichen Bewohners. Durch die breiten Ritzen war kaum etwas zu erkennen. Seltsamer, milchiger Schleier hatte sich im Inneren um eine mögliche Einrichtung gelegt. Alles, was er sah, waren tanzende Schatten und irritierende Lichtreflexe.
Warum schlug sein Herz so rasch, warum fühlte er…? Ja, es war Angst! Irgendetwas sagte ihm, dass er sich schnellstmöglich von hier entfernen sollte.
Nein. Er war Schriftsteller und Journalist. Einer, der aus den Münchner Geschichten und Geschichtchen Inspirationen zog und sich damit seinen kargen Lebensunterhalt finanzierte. Eine über Nacht errichtete Hütte und das offensichtliche Versagen der Stadtverwaltung
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