PR Rotes Imperium 03 - Die Zukunftsbastion
Yo.
Der Alte sah sich mühselig um. Sein Nackengelenk knackte. Er schien erst jetzt bemerkt zu haben, dass er einen Passagier hatte.
Sein Blick war wässrig gläsern, er konnte sie nicht fixieren. Er sog die Luft ein, als wollte er sie am Geruch erkennen.
»Tomoko«, sagte er. Es klang wie ein Echo aus einer anderen Zeit. »Du bist lange nicht hier gewesen.«
»Falsch«, sagte sie munter. »Und du weißt, dass es falsch ist.«
Er dachte nach. »Vielleicht«, gab er zu. »Wohin willst du?«
»Wohin schon?«, sagte sie und lachte. »Nach unten«, riet der greise Liftboy. »Ganz nach unten.«
Der Boy legte den Hebel des Fahrschalters um. Ruckend setzte sich die Aufzugkabine in Bewegung.
Tomoko Amaya Yo trat aus der Kabine in den Saal. Der Boden aus feinem gegossenem Zement. Die Decke hoch, mit Leinwand ausgeschlagen. Stille Lichtskulpturen trieben langsam durch den Raum, rotierten, stiegen, sanken. Im Hintergrund die Wand aus milchigem Glas, marmoriert, terracottafarben, ocker, burgunderrot.
Zwei Antigrav-Sitzschalen, eine davon unbesetzt, ein Tischchen dazwischen, darauf eine Karaffe, zwei Pokale.
Patollo erhob sich, elastisch, munter, verbeugte sich, lächelte. »Hallo, Amaya.«
Sie erschoss ihn, ging achtlos an der Leiche des Filiaten vorüber und auf die gläserne Wand zu. »Öffne dich!«, befahl sie.
Zögern.
»Tomoko Amaya Yo«, sagte sie. »Ich möchte hinein. Ich habe ein Recht darauf. Überprüfe das.«
»Ich anerkenne dein Recht«, sagte eine sanfte, völlig unmenschliche Stimme. Wie Wind in den Weiden.
Eine Parzelle der Glaswand glühte auf. Wie die Lamellen einer Irisblende öffnete sie sich.
Yo betrat die Gruft.
Sie kannte jeden Handgriff. Sie gab den uralten Notfall- und Überbrückungskode in die Schalttafel der Filiationskammer ein. Sie legitimierte sich mit Blut, Speichel, DNA und einer kodierten Gedankenfolge.
Die Abdeckplatte wich. Die Substanz der Kammer verdampfte schlagartig.
Jaakko Patollo - der echte Patollo - sank ihr mit einem heiseren Seufzer in die Arme.
Wie leicht er war. Beinahe gewichtslos. Zerbrechlich. Atemlos.
Behutsam legte sie ihn ab. Ein lange vom Baum abgeworfenes Blatt. Brüchig.
Sie sendete den vereinbarten Impuls. Die Anjumisten versiegelten die Festung und zogen sich zurück.
»Es wird noch einige Minuten dauern, bis der Organismus halbwegs betriebsfähig ist«, meldete Cori ihr den Stand der Dinge. Die Quantronik hatte Patollo medizinisch in Arbeit genommen. Die Maschinen der Gruft rührten sich nicht.
Während sie wartete, kam Yo eine uralte, prä-astronautische Legende in den Sinn. Die Legende eines unverwundbaren Kriegers, dessen Unverwundbarkeit nur eine einzige Blöße aussparte: die Legende vom Drachentöter.
»Ihr habt das Imperium in Drachenblut gebadet«, sagte sie leise. »Aber ihr habt übersehen, dass euer Panzer eine Blöße hat.«
Vielleicht, dachte sie, wolltet ihr diese Blößen ja nicht sehen.
»Wir igeln uns ein«, befahl Thor Sappeur.
Die neun Druuf-Raumer - acht funktionstüchtige Schiffe und das Wrack der 550 TIEFER SINKENDE DUNKELHEIT - näherten sich einander an und vereinigten ihre Schutzschirme.
Der Kommandant der GLANZ DER GERECHTIGKEIT ließ den gesicherten Pulk unter Transformkanonen-Feuer nehmen, ohne etwas ausrichten zu können.
»Patt«, sagte Sappeur.
Bhug betrachtete konzentriert das Schaumbild.
Sappeur ließ eine Verbindung zu dem Kommandanten des rot-imperialen Schiffes herstellen. Guy Zegenfeuter meldete sich beinahe sofort. »Wollen Sie kapitulieren?«
Sappeur blickte ihn entgeistert an. Dann lachte er los. »Ich wollte im Gegenteil Ihnen vorschlagen, Ihren kleinen Privatkrieg einzustellen.«
Zegenfeuter fauchte ihn an: »Dies ist kein Privatkrieg. Ich verteidige das Rote Imperium gegen eine Horde von Aufständischen.«
Sappeur gähnte demonstrativ und wandte sich dem Druuf zu: »Das Rote Imperium? Wovon spricht dieser Mann?«
»Ich kann mich kaum entsinnen«, sagte der Druuf fröhlich.
Viertes Buch:
Gong! Gong! Gong!
Tomoko Amaya Yo - Kein Schmerz.
Keine Trauer. Keine Klage.
Langsam erholte sich der Greis. Yo hatte ein Thermotuch entfaltet und um seinen nackten Leib gelegt. Sein Atem pfiff, die Augen tränten, aber er suchte Blickkontakt mit Tomoko Amaya Yo. Er röchelte.
Oder versuchte er zu sprechen?
Wieder das Röcheln.
Sie verstand nicht sofort, was er sagte. Er musste es noch einmal wiederholen: »Heimaturlaub vom ewigen Krieg, meine tapfere Anjumistin?«
Sie sah sich in der Gruft um und
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