PR TB 014 Die Nacht Des Violetten Mondes
legte
das Instrument weg.
Als die Strahlen der Sonne die Plattform vor dem Palaverhaus
erreichten, schlug Anahay den ersten Gong. Der Ton weckte die
Schläfer, und sie streckten ihre Köpfe aus den Eingängen
der Hütten. Sie sahen den Wanderer, der eben ausholte, um den
zweiten Gong zu schlagen.
Der Ton hallte dumpf.
Dann ging Anahay langsam auf die Plattform zurück. Er blieb
stehen und drehte den Schaft seines kurzes Speeres in den Fingern, so
daß binnen weniger Sekunden das blanke Blatt das Sonnenlicht
fing und in Wellen zur Erde warf. Immer schneller rotierte die
Schneide.
„Warte auf die Nacht“, schrie Anahay. „Auf die
Nacht des violetten Mondes. Sie wird in zehn Tagen kommen, und eine
furchtbare Farbe wird am Himmel sein. Glaubt... denn ich spreche die
Stimme des Geistes. Fragt den Herrscher, der in seinen Würfel
blickt, fragt den Schamanen, ob seine Zauber es nicht auch sagen.
Fragt mich: Ich sage euch, Blut wird aus dem Bach kommen; das Wasser
wird rot werden. Dies soll der Beweis sein. Morgen früh wird
sich das Seeufer rot färben. Dies ist meine Botschaft...“
Ein langer Schrei, der plötzlich abgehackt wurde, drang über
den Dorfplatz. Anahay reagierte schnell er fuhr herum, und sein Arm
holte aus. Hinter ihm kam mit langen Schritten ein junger Krieger
über den Platz gelaufen. Er war nackt, und sein Körper
glänzte vom 1. Sein Arm schoß vor, und ein schlanker Speer
zischte durch die Luft.
Gleichzeitig schnellte Anahay seine Waffe ab.
Der Krieger blieb erstarrt stehen. Der Speer drang ihm in die
Brust und warf den Krieger in den Sand. Mit einem gewaltigen Satz war
Anahay heran und sah in die Augen des Sterbenden, noch ehe sie
brachen. Sie waren starr; der Krieger war hypnotisiert worden.
Mit einem wilden Ruck riß Anahay den Speer heraus und jagte
ihn neben dem regungslosen Körper in den Sand. Dann drehte er
sich um und verließ langsam das Dorf. Er ging zu seiner Hütte
zurück und wartete.
Der Tag und die Nacht vergingen.
Das Geschrei weckte Anahay und das Mädchen. Die Bewohner des
Dorfes standen am Ufer des Baches und starrten hinein. Das Wasser war
blutrot. Anahay lächelte, als ihm das Mädchen erzählte,
was sich ereignet habe. Sie stand atemlos auf der Leiter und sprach
zu ihm hinauf.
„Herr, der Bach ist rot... Blut!“
„Ich sagte es gestern voraus. Es mußte geschehen.“
Das Mädchen wußte ebensowenig wie die anderen Bewohner
dieses Ortes, daß eine langsame chemische Reaktion innerhalb
einer Hohlnaht abgelaufen war und den Inhalt der beiden Säcke
ins Wasser gegossen hatte. Reines, konzentriertes Kaliumpermanganat
war die Lösung dieses Rätsels. Anahay entsann sich der
geschätzten Zeit, in der das Wasser die Entfernung bis zum Dorf
zurückgelegt hatte und sagte zum Mädchen: „Gehe
zurück und sage ihnen, daß es drei Stunden dauern wird,
ehe das Wasser wieder zurückverwandelt wird. Dann ist meine
Prophezeiung eingetroffen.“ Das Mädchen rannte zurück.
Am Nachmittag kam der Herrscher mit seiner Leibwache und zwei
Fächerträgerinnen. Anahay sah ihn kommen und ging ihm
entgegen; er erwartete den Herrscher am Fuß der Treppe. Die
Männer sahen sich an, und der Häuptling begann: „Wanderer
- ich fürchte mich!“ „Du hast keinen Grund,
Häuptling“, antwortete Anahay.
„Ich fürchte mich vor dem, was geschehen ist. Ich habe
meine Boten ausgeschickt und getan, was die Bilder im Stein sagten.
In acht Nächten werden sämtliche Häuptlinge Aboinas
ins Land der stählernen Tempel kommen. Dort werden wir
beratschlagen.“
„Und warum fürchtest du dich?“ fragte Anahay.
„Der Schamane sagte, daß nichts geschehen würde.
Kein Mond, kein geöffneter Tempel, kein König, der sich vor
mir verneigt... , was sagst du dazu?“ Anahay sagte hart: „Der
Schamane ist ein altes Weib, dessen Zauber verflogen ist im Wind der
Jahre. Er zittert, weil ein mächtigerer Zauberer aufgetreten ist
und weil du nicht mehr ihn, sondern mich und den Steinwürfel
fragst. Er ist am Ende - er verzauberte einen jungen Krieger, der
mich speeren sollte. Mein Zauber war mächtiger. Du brauchst
keine Furcht zu haben, Häuptling.“
„Wir brechen in drei Tagen auf, um dem Wunsch des Würfels
zu gehorchen. Ich werde hundert Krieger mitnehmen und zwanzig
Trägerinnen. Und dich. Du sollst bei mir sein, wenn
der große Zauber geschieht und der Mond sich über die
Stadt des stählernen Tempels zeigt. Wirst du mit uns gehen?“
„Ich werde“, versprach Anahay.
„Gut. Wir werden
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