PR TB 068 Die Säulen Der Ewigkeit
tasteten jeden Zoll des Wagens und der
Waffen ab. Einer zog prüfend meinen Bogen aus; er schaffte es
nicht ganz. Es waren Bogenschützen. Ich sah es an den bronzenen
Daumenringen mit dem kleinen hakenförmigen Ausleger. »Danke«,
sagte ich. »Mein Name ist Atlan-Anhetes. Was muß ich tun,
um als Freund in die Stadt aufgenommen zu werden?«
»Ich bin Amenemheb«, sagte der Anführer. »Bleibe
in der Stadt, bis Neter-Nacht zurückkommt. Ich lasse dich zu
seinem Haus bringen — dort wirst du finden, was du brauchst.
Der Schreiber des Pharaos wird mit dir reden.«
Er winkte; eine typische Geste, kurz und knapp und ohne unnötigen
Aufwand. Ein Soldat griff an die senkrechte Strebe des Wagens und
wartete.
»Ich danke dir«, sagte ich. »Was weißt du
von Neter-Nacht?«
»Noch nichts. Er lebt.«
Mein Gespann ruckte an. Der Gardist schwang sich halb in den Wagen
und stellte den linken Fuß dicht neben der Nabe auf die
federnde Achse. Im Schritt bewegten wir uns durch den Torsturz, in
die erste Gasse hinein, die unvermittelt breiter wurde. Ich lenkte
die Pferde nach den Hinweisen des Gardisten. Das Haus des Neter-Nacht
war viereckig und ebenerdig. Es bestand aus Bruchsteinen und
ungebrannten, mit Stroh gebundenen Lehmziegeln.
»Du bist fremd, Arzt?« fragte der Gardist.
»Ja.« Ich nickte. »Ich werde nicht wissen, was
ich in Neter-Nachts Haus zu tun habe, was ich lassen muß.«
Der Gardist grinste breit und murmelte, während er sich aus
dem Wagen schwang:
»Frage Neb-kare, die mit dem weißen Kleid«,
sagte er. »Du findest sie in dem Haus hier.« Er hob die
Hand, drehte sich um und lief zurück. Seine Sandalen erzeugten
auf den Steinen klatschende Geräusche. Ich warf die Zügel
dem Wolf zu und klopfte an die Tür. Neb-kare öffnete.
*
Ich zählte siebenundzwanzig Tage und knapp sechzig Patienten.
Ich kaufte mit meinem mitgebrachten Gold öle, gewisse
Che-mikalien und stellte Salben her. Ich behandelte geschwollene
Augen, schiente unzählige Brüche, nähte Wunden, die
von furchtbaren Hieben herrührten, wurde zu anderen Häusern
und zu anderen Knochenbrüchen gerufen
— und meine besten Kunden waren die Männer der
königlichen Garde. Wenn sie von den Zügen zurückkamen,
die Menes gegen die aufrührerischen Aufständischen rund um
das Nilgebiet führte, waren viele von ihnen mehr tot als
lebendig. Das Haus Neter-Nachts war Treffpunkt vieler Menschen, und
ich konnte direkt spüren, wie mein Palmenschößling
wuchs und gedieh.
Es war am achtundzwanzigsten Tag, vielmehr in der Nacht des
achtundzwanzigsten Tages.
Eine jener köstlichen Stunden.
Neb-kare, Neter-Nacht Hepetre und ich. Eine große,
hand-gesdinüedete Kupferschale in der Mitte der vier hölzernen
Sitze verbreitete Wärme und rotes, geheimnisvolles Licht.
Die Sitze waren mit weißen und gefleckten Ziegenfellen
bedeckt, und wir tranken roten, schweren Wein aus Tonschalen.
»Es war gut«, sagte Neter-Nacht, »daß sich
unsere Wege kreuzten, Atlan-Anhetes.« Hepetre, der ältere
Freund des Feldherrn, lachte dröhnend.
»Sonst wäre Menes um einen guten Mann ärmer«,
sagte er laut.
»Und Neb-kare um ihren Herrn«, sagte das Mädchen.
Sie war seit einem halben Jahr die Frau des Neter-Nacht.
»Und ich wäre um einen Freund ärmer«, sagte
ich ruhig.
»Du bist jetzt fast einen Mondwechsel lang hier«,
sagte Neter-Nacht. Er war vollkommen wiederhergestellt, nur die
Narben waren zurückgeblieben und machten ihn härter und
männlicher. Und da er dem Tod ins Gesicht gesehen hatte, war der
Feldherr klüger und — skeptischer geworden. Zwanzig Tage
lang hatte ich in seinem Haus versucht, kleine Verbesserungen
anzubringen; sie waren technischer, hygienischer und kultureller Art.
Unter anderem schulte ich Neter-Nacht in der Strategie der
Verfolgungskämpfe, und mein Ruhm stieg neben seinem.
»Das ist richtig«, sagte er. »Und ich sehe noch
den Tag kommen, an dem du deine dunklen Künste in der Nähe
des Menes ausüben wirst. Du bist ein Fremder gewesen, jetzt hast
du ein königliches Siegel und darfst heilen, wo immer dieses
Siegel steht... in jeder Stadt, die dem Menes gehört — er
lebe ewig!«
Ich hatte mich absichtlich zurückgezogen, hatte ohne
Unterschied versucht, Armen und Reichen zu helfen und hatte eine
erbitterte Auseinandersetzung mit einem der anderen Wundärzte
hinter mir. Ich hatte, was zu diesen Zeiten selten war, das Vertrauen
der Stadt. Memphis zählte etwa zwölftausend Einwohner. Und
nur eine Gruppe kannte ich nicht, obwohl
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