PR TB 071 Sturm Uber Babylon
Palastes.
„Du bist mein Freund, und deshalb brauche ich nicht schön
zu reden", sagte Kishurra halblaut. „Aber du hast wahrhaft
Wunderbares vollbracht."
„Nichts davon ist wunderbar, Bruder", sagte ich.
„Doch. Fast alles. Sie sind ein gutes, furchtbares Heer, die
zehntausend Mann, die mit Hammurabi ziehen werden."
Wir beaufsichtigten die letzten Arbeiten an diesem Teil der Mauer.
Sie schützte die Stadt nach Osten, und links von uns floß,
künstlich umgeleitet, der breite Arm des Kupferflusses zwischen
der äußeren und der inneren Mauer. Die letzten Kommandos
der Sklaven räumten Gerüste, Bretter und Werkzeuge weg. Sie
säuberten die Uferränder, schlugen die Ratten tot, die die
Pest brachten, und ließen sich Zeit. Seitdem ich drei Aufseher
vor ihrer Sklavengruppe hatte auspeitschen lassen, hatte sich das
Verhältnis schlagartig gewandelt.
„Du hast die Kranken, Schwachen und Mutlosen ausgesondert.
Die Waffen sind besser geworden, die Männer kräftiger. Das
Heer ist schneller, weil es mehr Pferde und Halbesel hat. Der Troß
wurde kleiner, und die Hauptleute beginnen zu denken. Sie haben alle
deine Angriffspläne und die scheinbaren Züge der Flucht
auswendig gelernt. Wenn Hammurabi in drei Tagen nach Susa zieht, dann
wird er gewinnen."
„Das ist sicher", sagte ich.
Zwischen uns ging Daganya. Sie trug weniger Schmuck, hatte ihre
unpraktische Kleidung geändert und roch nicht mehr so
infernalisch nach schweren Duftstof
fen. Dadurch, daß sie ständig mit unserer Arbeit
konfrontiert wurde, hatte ihr flexibler, junger Verstand mehr Bildung
aufgenommen. Sie erinnerte mich sehr oft, zu oft, an die Frau, mit
der ich im Papyrusboot im Nildelta gejagt hatte.
Daganya schien lange in Gedanken versunken zu sein. Schließlich
sagte sie:
„lachdun-chur und ich wurden von einem alten, klugen Sklaven
erzogen, der an der fernen Küste des nördlichen Meeres
gelebt hatte. Er sagte uns immer, die Menschen könne man in zwei
Hälften einteilen."
Kishurra zog sie kurz an sich und sagte lachend:
„Ishtar sei Dank! In Männer und Weiber!"
Sie schüttelte den Kopf. Wir waren jetzt im Eckturm, der die
östliche Außenmauer mit der nördlichen verband. Durch
Steinsäulen floß der Nebenarm; hohe Wellen brachen sich an
den Pfeilern.
„Nein!"
„Was sagte der kluge Sklave?" fragte ich und sah hinaus
durch die konischen Schießscharten, durch die
Beobachtungslöcher und hinunter, durch das Loch im Boden und die
Leitern mit den breiten Sprossen entlang. Unten im Turm lagerten die
Balken mit den Kupferspitzen; Geschosse für die Speerschleudern,
die unweit dieses Turmes fertiggestellt wurden.
„Die Menschen sind Jäger und Gejagte. Oder
Vorwärtsdrängende, Handelnde und Zögernde,
Unentschlossene. Sicher sind nicht alle Jäger, sagte der Sklave,
klüger als die Gejagten. Aber sie werden stets, zu allen Zeiten
und in jeder Landschaft den Gejagten überlegen sein. Sie sind
jene Handelnden, denen die Welt gehört. Hammurabi ist ein Jäger,
Shar-Atlan ist einer, Kishurra ist auch einer. Nur lachdun-chur ist
keiner. Er wartet, braucht Führung und Grenzen." Wir
verließen dieses drei Kilometer lange Stück der Stadtmauer
und betraten den einfachen nördlichen Wall. Er stellte eine
gerade Fläche von Felsblöcken, mit gebrannten Ziegeln
verstärkt und verblendet, dar. Gegen die Stadt zu verwandelte
sich die Mauer in eine Schrägfläche, die mit Gras, Bäumen
und Büschen bepflanzt war. Ein Park, eine Fülle von
Öbstbäumen, ein Schattenspen
der und zugleich eine tödliche Falle für jeden, der die
Mauer überstieg. Wir hatten fünftausend giftige Schlangen
eingesammelt, den Park mit einer glatten, niedrigen Mauer umgeben und
ihn zu einer Zone des Todes gemacht. Die Mauer war zwei Kilometer
lang und ebenfalls vierzig Meter hoch. Zwischen ihr und dem Park
verlief eine Straße, deren Belag flache Kieselsteine von
ungewöhnlicher Größe in Asphalt gebettet und mit Sand
aufgefüllt worden waren. Auch hier streiften bereits die
aufräumenden Arbeiter.
„Und was bist du, Daganya?" fragte Kishurra, der die
Mauern voller Bewunderung musterte, obwohl er während der
Bauzeit ständig hier gewesen
war.
Sie sagte stolz:
„Die Gefährtin eines der besten Jäger, Kishurra!"
Sie lächelte mich an.
„Wie ich eure Übertreibungen genieße!" sagte
ich leise. „Die Mauer ist zu drei Vierteln fertig, Kishurra.
Nur die Toranlage macht mir Sorgen."
„Mir auch. Morgen werden die Arbeiten dort am Ufer beginnen.
Vier neue Türme,
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