PR TB 086 Feldzug Der Morder
schickte sie zum Eingang der
Schlucht. Sie sollten hineinreiten und sich Ellac zu erkennen geben.
Schnell ritt ich einmal um die Schlucht herum, stieß auf
sterbende Goten und leicht verletzte Hunnen, auf ein Pferd, das sich
beide Vorderbeine gebrochen hatte; ein Reiter tötete es und
machte sich daran, Zaumzeug und Sattel abzuschnallen. Ich zählte
fünfzehn tote Goten - keine Verletzte. Das erleichterte das
Handeln. Schließlich befand sich meine Schar fast vollzählig
in und vor der Schlucht. Eine kleine Gruppe sprengte auf meinen
Befehl hin davon, um die Pferde zu holen.
Dann nahm ich meinen Helm ab und lenkte mein Pferd in die Schlucht
hinein.
Ein Geruch nach kühler, nasser Luft und leichte Spuren der
Brände kamen mir entgegen. Die Hunnen stolperten aus ihren
Verstecken heraus, wurden von meinen Kriegern begrüßt. Man
tauschte Proviant und Wasser aus, Kumys und Kamon. Überall
bildeten sich kleine Gruppen und erzählten sich die Abenteuer
der letzten Stunden. Alles schien vergessen zu sein - der Hunger,
der Durst, die Toten und Verwundeten, die auf dem Gras lagen, die
Furcht und der Kampf, der so überraschend geendet hatte. Endlich
sah ich Ellac. Er stand mit gespreizten Beinen auf einem riesigen
Findlingsblock und starrte mit verschränkten Armen finster vor
sich hin. Ich ritt langsam heran und stieg ab, somit machte ich mich
mit ihm, der nicht im Sattel saß, ranggleich.
»Ellac!« rief ich. Er zuckte zusammen und musterte
mich schweigend.
»Wer bist du?« fragte er. Mein helles, langes Haar
irritierte ihn.
»On'ijiz Atlan nennen mich meine Krieger«, sagte ich
und berührte den verborgenen Schalter. Der Sukhr, der bisher
über der Schlucht gekreist war, näherte sich, flog eine
Spirale um Ellac und setzte sich auf meine Schulter. Er krallte sich
zwischen den Schuppen fest und schrie kehlig mit der Stimme des
Würgefalken.
»Dich hat mein Vater geschickt?« fragte er
mißtrauisch.
»Nein. Dein Bote kam zu meinem Haus. Wir brachen auf und
ritten die Nacht wie die Wilden. Die Goten sind geflohen?«
»Woher kommst du?«
Ich lächelte und erwiderte:
»In meinem Land, in dem jetzt die Wisigoten herrschen, bin
ich so mächtig wie dein Vater, Ellac baga. Ich sehe gern zu den
Göttern auf, aber ungern sehe ich es, wenn Attilas Sohn aus den
Wolken mit mir spricht.«
Finster musterte er mich, meine Rüstung und mein Pferd, dann
kauerte er sich nieder und sprang mit einem Satz mehr als drei Meter
tief herunter. Langsam kam er, nachdem er den Fall abgefedert hatte,
auf mich zu. Ich überragte ihn um mehr als einen Kopf. Ein
junger, wilder, jähzorniger Mann, sicherlich nur einen Bruchteil
so gerissen wie sein Vater, aber der gleiche besessene Kämpfer.
Ihn würde nur ein Bergrutsch oder der eigene Tod aufhalten. Er
sagte drohend:
»Du hast mit meinem Vater gesprochen?«
Ich erwiderte lächelnd, die Hand am Schwertgriff:
»Dein Vater wünscht mich als Waffenmeister und als
Anführer eines wichtigen Spähtrupps. Ich bilde zweihundert
Krieger aus, die vor Attila nach Italien ziehen werden.«
»Möglich«, sagte er. »Aber hier ist nicht
Attilas Hof. Hier gehorchst du mir, Atlan.«
Ich blieb höflich, aber mein Lächeln verschwand langsam.
»Du irrst, Ellac«, sagte ich. »Mir befiehlt
Attila, oder aber mein eigener Verstand. Ich möchte dich nicht
zum Feind haben, Ellac, nachdem ich dein Leben und das deiner Leute
gerettet habe. Aber ich gehorche dir nicht. Wir werden vor Attila
stehen und reden, aber nicht hier und nicht jetzt.«
Ich sagte leise und zischend in arkonidischer Sprache:
»Turk! Auf mein Handgelenk! Rechts.«
Der Falke schlug mit den Flügeln, ich duckte mich, und dann
schlug das Tier seine Krallen in das Leder des Stulpenhandschuhes.
Ellac sah mich drohend an, und ich konnte förmlich sehen, wie er
nachdachte. Gab er klein bei, verlor er sein Gesicht. Von
diplomatischer Klugheit schien er nichts zu
halten, falls er diesen Begriff kannte. Dann sagte er laut:
»Du wirst mich zu Attila begleiten, Atlan!«
»Nein«, erwiderte ich. »Attila hat es nicht
befohlen! Ich reite in kurzer Zeit mit meinen Leuten zurück. Und
auch du wirst mich nicht aufhalten!«
Ich wollte nicht unbedingt provozieren, aber ich ahnte, daß
ich bei der Erörterung der strittigen Fragen einen Helfer in
Attila selbst haben würde. Ich glaubte sogar, seine
Argumentation zu kennen. Er war seinen Söhnen gegenüber,
hatte man mir berichtet, noch unbarmherziger und wesentlich
anspruchsvoller als sonst jedermann
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