PR TB 087 Asyl Auf Planet Vier
beschäftigt, als daß er sich den Luxus einer
bewaffneten Auseinandersetzung leisten könnte. Die Kinder sehen
ohnehin keinen Sinn in der Feindschaft der Erwachsenen. Ich setze
meine ganze Hoffnung in die Zweite Generation. Vielleicht wird die
Tauchstation, eine von Joohst nur sehr widerwillig geduldete
Einrichtung, eines Tages zur Stätte der gegenseitigen
Aussöhnung. Vorläufig ist jedoch der wöchentlich
stattfindende Tauschtag nur das Ergebnis bloßen
Vernunftdenkens. SÜD kann nicht auf Joohsts Züchtungsergebnisse
verzichten, und NORD wiederum ist auf die technischen Kenntnisse Mr.
Craighs angewiesen.
Der Biologe ist mir nach wie vor ein Rätsel. Er ist
zweifellos ein Genie und ebenso zweifellos ein Verbrecher. Beide
Eigenschaften lassen sich durchaus
miteinander vereinbaren, wenn man bedenkt, daß er in jedem
Falle Geniales schafft, sich dabei aber keinerlei ethischer
Beschränkung unterwirft.
Mir ist mit all den Jahren nicht leichtergefallen, mit den Monks
umzugehen. Die Betas lassen sich gerade noch ertragen, doch wenn ich
mich mit den Gammas in ihrer Kleinkindersprache unterhalten muß,
ihre unkonzentriert umherschweifenden Blicke mit meinen Augen zu
bannen versuche, dann packt mich jedesmal ein rasender Zorn, und ich
muß mir dann immer wieder meinen Auftrag vergegenwärtigen.
In solchen Momenten bezweifle ich ernsthaft, ob ein Mensch das
überhaupt kann, leidenschaftslos beobachten, so tun, als ginge
das alles einen nichts an - ausschließlich Auge sein und
niemals Hand.
NORD ist sozusagen das Paradebeispiel einer sozialen
Fehlentwicklung. Man ist zu Gesellschaftsstrukturen zurückgekehrt,
die sich bestenfalls als Feudalherrensystem umschreiben lassen, in
Wahrheit aber eine moderne Variante der Sklaverei sind. Nie zuvor hat
jemand so ausschließlich über andere menschliche Wesen
verfügen können wie Joohst. Er schuf sich gewissermaßen
den Menschen vom Reißbrett. Seine Geschöpfe sind perfekt
auf die Bedürfnisse und Anforderungen ihres Konstrukteurs
zugeschnitten; sie betreten diese Welt, und ihr Schicksal ist bereits
vorprogrammiert. Die stämmigen Gammas, muskelbepackt und mit der
niedrigsten Intelligenzstufe, werden ihr Leben lang nur körperliche
Arbeit verrichten können. Die beweglicheren Betas sind zur
Beaufsichtigung und Wartung der Maschinenanlagen vorgesehen. Die
Alphas sind das künftige Bedienungspersonal innerhalb der
Kuppel. Sie gleichen als einzige den Menschen. Wer wollte auch schon
gern durch den Anblick eines dichtbehaarten, äffischen Wesens
ständig an Joohsts verbrecherische Versuche erinnert werden.«
Der NEUTRALE BEOBACHTER unterbrach seine Schreibtätigkeit,
als sich Andra über den Außenlautsprecher ankündigte.
Hastig verstaute er den Ordner wieder im Wandfach und öffnete
die Tür.
Sie stand draußen, zwei gefüllte Sektgläser in der
Hand, und lächelte schüchtern. »Alles Gute zum neuen
Jahr!« wünschte sie ihm. »Willst du mit mir
anstoßen?«
Er nickte und ließ sie eintreten.
Das »Du« kam ihr immer noch schwer über die
Lippen. Normalerweise duzten die Alphas ihre Herren nicht.
Der eisige Wind der Vortage hatte sich gelegt. Nach einem trüb
verhangenen Morgen brach gegen Mittag sogar die Sonne hervor, eine
milchige, blasse Scheibe, zu kraftlos, um gegen den klirrenden Frost
ankämpfen zu können. Vom künstlich beheizten See
stiegen Nebelschwaden auf und überkrusteten als dicke
Rauhreifschicht die buschigen Zweige der Krüppelkiefern, die das
Gewässer umsäumten.
Von Süden her näherten sich über die Ebene zwei
dunkle Punkte. Der Torposten, der mit der Reparatur eines defekten
Gerätes beschäftigt war und
nur ab und zu einen gelangweilten Blick durch die verglaste
Frontseite der Wachstube warf, griff zum Fernglas, ließ es
jedoch schon nach kurzer Zeit wieder sinken und setzte beruhigt seine
Arbeit fort. Allmählich vergrößerten sich die Punkte,
bis schließlich zwei Reiter zu erkennen waren, die ihre
kleinen, struppigen Steppenpferde geradewegs auf das Tor zulenkten.
Aus den Nüstern der Tiere stiegen dampfende Atemwölkchen
auf.
Die beiden Reiter waren dick eingemummt in ihre mit Synthetikpelz
gefütterten Anoraks; sie hatten den transparenten Gesichtsschutz
bis tief über ihre Atemmasken heruntergezogen, so daß ihre
Gesichter nahezu vollkommen vor dem schneidenden Frosthauch geschützt
waren, der während des raschen Rittes entstand. Mit
ungeschütztem Gesicht hätten sie die weit unter fünfzig
Grad Minus liegende Temperatur nur bei
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