PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
Stadt;
auf seinem Wagen befand sich Gemüse, totes Wild und lebendes
Federvieh. Der Verkauf der Waren ging lautlos und in einer
gespenstischen Schnelligkeit vor sich. Ich schickte meine Blicke
überall hin, aber ich fand niemanden, mit dem ich sprechen
konnte. Am verfallenden Hafen setzte ich mich auf einen Poller und
drehte mich so herum, daß ich die Stadt sehen konnte. Vom
Wasser, in dem tote Fische, aufgedunsene kleine Tiere und anderer
Abfall trieben, stieg ein unbeschreiblicher Geruch auf.
»Diese Szenen werden uns auf dem gesamten Weg begleiten!«
sagte ich laut.
Über eine verwinkelte Treppe kam ein Priester oder ein Mönch;
ich erkannte es nicht genau. Er hob die Hand, als er mich sah, und
ich winkte.
»Seid gegrüßt, Bruder!« sagte der Mann mit
dem hageren Gesicht und den schwarzen Tränensäcken. »Es
sind Zeiten, in denen nicht das Gebet, und auch nicht das Flehen
nützen.«
Wir vermieden es, uns die Hände zu schütteln.
»Vielleicht«, sagte ich abwartend, »kann eine
Medizin, die ich habe, euch allen nützen. Ich suche Helfer, Mann
Gottes.« Er wiegte den Kopf und zitierte mit hohler Stimme:
»... und da sich das vierte Siegel auftat«, er
unterbrach sich und erklärtes »Das ist aus der Geheimen
Offenbarung, Bruder! Und da sich das vierte Siegel auftat, hörte
ich die Stimme sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd.
Und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle
folgte ihm nach.«
»Wieviel Menschen sind gestorben?« fragte ich.
»Ein Drittel der Stadt ist dahingegangen«, war die
Antwort. Dann musterte mich der Schwarzgekleidete wieder und fuhr
fort:
»Und ihnen ward Macht gegeben über den vierten Teil der
Erde, zu töten mit dem Schwert und Hunger und Tod und durch die
wilden Tiere auf Erden!«
Ich fragte:
»Sind noch Mauren in der Stadt?«
»Nein. Sie haben sich zurückgezogen und ließen
nur einige Pferde da. Und leere Bauten.«
Vor zwei Jahren hatte bei Crécy, nördlich von Paris,
eine Schlacht zwischen Britannien und England stattgefunden, und seit
dieser Zeit zogen plündernde Söldnerhorden durch
Frankreich, stießen gelegentlich auch über die Grenze vor.
Vielleicht versuchten die Mauren, vor der Pest fliehend, diese
Söldner zu bekämpfen. Ich fragte weiter:
»Ist vor einigen Tagen ein Fremder in diese Stadt gekommen«
»Ja. Er kam aus dem Gebirge und sagte, er sei ein reisender
Gelehrter. Er sah auch so aus. Er schien reich zu sein und keine
Furcht vor dem Schwarzen Sterben zu haben.«
»Wißt Ihr, wo sich dieser Mann aufhält?«
»Er tut, glaube ich, das gleiche wie Ihr: er geht durch die
Stadt und betrachtet alles. Ich glaube, er wollte Pferde kaufen.«
»Danke«, sagte ich. »Steht es in Eurer Macht,
die Menschen dieser Stadt nacheinander einzeln zu mir zu bringen? Ich
denke, ich kann ihnen helfen. Ich habe eine Medizin ... «
»Sie werden nicht an Wundermedizinen glauben!« sagte
der Priester. »Aber ich helfe Euch gern. Kommt zu mir in das
Haus neben der Kirche, wenn Ihr einen Plan habt.«
Ich nickte.
.»Morgen!« versprach ich.
Wir blieben noch kurze Zeit schweigend nebeneinander stehen, sahen
auf den verrottenden Hafen, betrachteten die sterbende Stadt, und
dann faßte ich den Entschluß, meine technischen Mittel
einzusetzen. Das Leben der Menschen hier war wichtiger als die Jagd
nach dem Fremden, und wenn wir Glück hatten, traf ich ihn schon
in der nächsten Stunde.
*
Es gibt nicht viele Möglichkeiten, eine Stadt von der Pest zu
befreien. Es gelang nur selten, einen bereits Erkrankten zu heilen.
Aber wir mußten es versuchen; zusammen mit dem Priester, dem
Wirt, der Lautenspielerin und einigen Männern, die wir sammeln
konnten - betrunkene Fischer, die hier die Chance sahen, durch Arbeit
sich von ihrer eigenen Angst befreien zu können -bildeten wir
eine Gruppe. Je mehr Häuser wir betraten, desto größer
wurde die Gruppe.
Wir handelten schnell und rücksichtslos. Die Sterbenden
konnten wir nicht mehr heilen, aber die Lebenden wollten wir retten.
Zuerst hatte ich alle Mitglieder und darüber hinaus alle
Verwandten der Gruppe mit dem Serum schutzgeimpft, dann zogen wir uns
um und handelten.
»Ihr Mann Gottes, notiert die Häuser, in denen wir
schon waren!« sagte ich. »Die Kranken müssen
isoliert werden.«
»Ich habe verstanden!« sagte er und murmelte ein
Gebet.
Am ersten Tag drangen wir in vierzig Häuser ein. Wir impften
die Gesunden, die uns manchmal nur widerstrebend halfen. Die Toten
wurden hinausgeschafft und mit dem
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