PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
hatte bewußt darauf
verzichtet, meinen Namen zu nennen oder meine Hilfe groß
herauszustreichen. Ich wollte nicht als wundersamer Retter in die
Stadtchronik eingehen und auf diese Weise späteren Generationen
auffallen. Ich beschloß, mit dem Priester zu sprechen.
»Ich danke Euch«, sagte ich. »Vielmehr, wir
danken Euch allen. Wir sind in der Tat sehr hungrig. Auch nach
Schönheit.«
Als später, nachdem wir gegessen und uns am Klang der Laute
erfreut hatten, der Priester kam, brachte er sein Geschenk mit. Es
war ein handkopiertes Exemplar des »Buches des guten Lebens«
von seinem spanischen Landsmann Juan Ruiz de Hita. Ich dankte ihm
herzlich; es war ein Lehrgedicht in Form von 7000 Versen, komponiert
in der Gefangenschaft des Erzbischofs von Toledo. Nur Kleriker
konnten über ein solches Exemplar verfügen. Der Priester
schien meine durchaus weltlich orientierte Lebenseinstellung richtig
verstanden zu haben.
»Herr«, sagte ich, »auch für mich war es
ein Wunder, daß die Medizin wirkte. Ich meine, daß allein
der Glaube viel gehoben hat, aber ich lasse in Eurer Verwahrung einen
Krug der Medizin zurück. Gebt jedem, der die Stadt betritt, zwei
Löffel von diesem Absud; die Pest wird Euch nicht mehr
heimsuchen.«
Ich kaufte von den Mauren vier Pferde, vier starke, feingliedrige
Tiere.
Dann zahlte ich die Rechnung und prügelte mich deretwegen
beinahe mit dem Wirt. Das Mädchen mit der Laute wollte
mitgenommen werden, aber wir wiesen sie ab. Am frühen Abend des
darauffolgenden Tages befanden wir uns außerhalb der Stadt,
trafen in der Nähe des Gleiters ein und stellten unsere weitere
Ausrüstung zusammen. Wir verwandelten uns in zwei Edelleute
genauer: einen Edelmann mit seiner Geliebten. Ich ahnte nicht, daß
gerade diese Verkleidung (denn auch der Fremde würde sich in
einer anderen Gestalt nach Bordeaux begeben) das Verhängnis
geradezu heraufbeschwören mußte.
4.
Sieben Jahre, nachdem Petrarca in Rom seine Dichterkrönung
erlebt hatte, drei Jahre nach dem Bankrott der Florentiner Banken, im
Jahr der Geißler, deren Lieder sich schnell im Volk
verbreiteten, damals, als auch Papst Klemens der Sechste in Avignon
weilte, ritten wir langsam nach Nordosten, bis wir auf die Küste
trafen. Am zwanzigsten Tag des dritten Monats, vor genau drei Jahren,
waren drei Planeten in Konjunktion getreten - Mars, Jupiter und
Saturn. Das galt im abergläubischen Volk als die Hauptursache
für den Ausbruch der Gottesgeißel. Dies und die allgemeine
Lockerung der Sitten sollten dieses Gericht heraufbeschworen haben.
Wir ritten schnell und zügig, aber keineswegs überhastet,
durch eine Landschaft, die so gut wie unberührt war.
Je einsamer die Gegend wurde, desto spärlicher waren die
Spuren der Pest.
»Ist es nicht an der Zeit, daß du die fliegenden
Maschinen in Form von Jagdvögeln einsetzen solltest?«
fragte eines Tages Alexandra, als wir im Schatten eines knorrigen
Olivenbaumes, rasteten.
Ich betrachtete meine staubigen Stiefel und erwiderte:
»Ja, du hast recht. Aber ich rechne eigentlich nicht damit,
hier auf Angreifer oder Räuberbanden
zu stoßen. Auch sie fürchten die Ansteckung.«
Meine Robotsonden hatten es mir gezeigt.
Das ganze Land nördlich und nordöstlich des Binnenmeeres
lag, von Ausnahmen abgesehen, zu denen nun auch Almeria zählte,
unter der Angst vor dem Schwarzen Tod.
»Trotzdem solltest du vorsichtig sein, Liebster!«
sagte sie.
Ich küßte sie und dachte daran, daß es weniger
mühevoll, aber auch langweiliger gewesen wäre, den Gleiter
zu benutzen und den Fremden auf seinem Weg zu überfallen und zu
zwingen, Hilfe herbeizurufen. Mein Extrasinn schaltete sich ein und
sagte.
Er würde ebenso reagieren wie du! Er würde jede
Verbindung mit seiner Heimat unmöglich machen!
Es ging also nur auf dem langsamen Weg. Wir mußten
versuchen, mit dem Fremden Kontakt zu bekommen, möglichst
zufällig, weil sein Mißtrauen besonders groß war.
Eine Freundschaft wäre noch besser, dann erst konnte ich die
Wahrheit sagen. Aber geradezu ängstlich mußte alles
vermieden werden, was konstruiert aussah, was ihn mißtrauisch
machen konnte.
»Ich bin überzeugt, daß wir den Fremden in
Bordeaux treffen und uns mit ihm anfreunden können!« sagte
ich.
»Ich bin nicht so optimistisch wie du!« sagte
Alexandra.
Wir hatten mehrere Vorteile auf unserer Seite. Die Hauptstädte
waren weit entfernt und hier auf dem Land bedeutungslos. Grenzwachen
waren durch die Pest ebenso dezimiert worden, so daß es
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