PR TB 098 Wettfahrt Der Entdecker
die Spur einer
Melodie, dafür aber ein zündender, mitreißender
Rhythmus zu erkennen. Ich ertappte sogar uns, wie wir mit den Fingern
und Zehen den Takt mitschlugen. Das dauerte etwa zehn Minuten. Dann
setzten sich die Tänzer in Bewegung und stampften den Boden. Sie
klatschten in die Hände und stießen allerlei Laute aus,
die wie Bellen oder Husten klangen. Die Kreise drehten sich
gegeneinander, mit ermüdender Monotonie, immer wieder, weder
schneller noch langsamer. Die Musikanten arbeiteten, als würde
sie jemand mit der Peitsche antreiben. Ein chaotischer Radau breitete
sich aus und schien den Dschungel ringsum zu erschüttern. Hohe,
jammernde Schreie, fremd, geheimnisvoll und scheinbar aus gemarterten
Kehlen stammend, drangen aus dem umliegenden Wald zu uns. Der Tanz
dauerte lange, und er war, verglichen mit denen, die wir häufig
miterlebt hatten, von geradezu unglaublicher Primitivität.
Ihr könnt noch nichtfliehen! sagte der Extrasinn plötzlich.
Die Krieger beobachten euch.
Die Bäume am anderen Ende der Lichtung schienen sich wie ein
gewaltiger grüner Vorhang zu teilen. Ein feierlicher Umzug
näherte sich den Tanzenden, die nun zwei Reihen bildeten, die
Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite der
Krieger. Bambusfackeln leuchteten auf. Zitternde Flammen mit langen,
quirlenden Rußfäden. Zwischen den Ästen sahen wir die
Spitzen von vielen Speeren und die auffallende Bemalung der Schilde.
Die Männer trugen Lehmmasken. Der Häuptling führte sie
an. Zwischen den Reihen der nackten, rituell bemalten Krieger schritt
eine phantastische Gestalt einher. Sie war in Hunde- und
Beuteltierfelle gehüllt und trug leuchtende Verzierungen aus den
winzigen Federn kleiner Vögel. Mit einem stolpernden Tanzschritt
löste sich die Gestalt aus den Reihen und tanzte langsam bis zum
Feuer. Sämtliche Instrumente schwiegen jetzt, nur noch die
brummenden Schwirrhölzer arbeiteten wie besessen.
»Komm zu mir, Fremder!« schrie der Häuptling und
winkte mit dem Schild.
Ich sah meine Waffe an, schob sie zurück und ging ruhig durch
die Menschenmenge. Wieder durchlief der Schauer einer geordneten
Bewegung das Volk. Es zog sich bis vor die Hütten zurück.
Zwischen den etwa dreißig Kriegern, dem Totempfahl, den
Gefangenen und dem Hundefleisch entstand ein freier Raum. In Achtern
und Schleifen tanzte der Vermummte hin und her, hob die Arme und warf
die Beine nach allen Seiten.
»Was ist zu tun?« fragte ich.
»Adath! Wir töten den Verräter!« sagte Areka
dumpf unter seiner scheußlichen Maske hervor.
Zwei Parteien. Alle sahen atemlos zu. Wieder setzten die übrigen
Instrumente ein. Die Krieger verteilten sich in einem weit
ausgeschwungenen Halbkreis. Der Häuptling und auf sein Geheiß
auch ich reihten uns in den Kreis ein. Jemand kam aus der Dunkelheit
und reichte mir einen langen Bogen und einen Pfeil. Es waren
reichverzierte, rituelle Waffen.
Eine Menge unsichtbarer Fäden schien den vermummten Tänzer
und die Krieger, mich eingeschlossen, zu verbinden. Unsere Blicke und
auch die Gedanken wurden wie von schwarzer Magie angezogen. Auf einem
Pfahl, der in der Zwischenzeit in den Boden gerammt worden war,
steckte jetzt ein hämisch lachender Totenschädel, völlig
weiß und poliert. Die zuckenden Flammen brachen sich daran. Der
Tänzer vollführte einige Bewegungen und begann, seine
Vermummung abzustreifen. Sobald er ein Kleidungsstück ausgezogen
hatte, hängte er es auf den Pfahl, und zwar
derart geschickt, daß ein getreues Abbild von ihm entstand.
Schließlich, als die Menge zum letztenmal geschrien hatte, warf
er seinen Federmantel ab und deckte ihn über die »Schultern«
der Figur.
Wieder stimmten die Weiber ihr lautes Gebrüll an. Die Männer
antworteten in einem dunklen, stoßweise vorgebrachten Chor.
»Werft die Speere! Speert denVerräter! Stoßt zu!«
»Speert ihn! Tötet ihn! Macht Adath mit ihm!«
Ich sah mich um. Die Krieger hoben die Speere, während der
Tänzer sich in den Schutz der Totemsäule flüchtete.
Die Trommeln, Pfeifen und Schwirrhölzer vollführten einen
rasenden Lärm. Ich tat es den Kriegern nach und legte den Pfeil
auf die Bogensehne. Die ersten Speere flogen; die meisten von ihnen
bohrten sich in die schlaffen Kleidungsstücke am Pfahl.
Ein Speer blieb in der Bauchgegend der Puppe stecken, ein anderer
schoß fauchend dicht neben dem Handgelenk eines der Gefangenen
in den Boden. Dann wieder ein Doppelchor:
»Schießt die Pfeile ...!«
Wir schossen. Kräftige Arme
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