PR TB 108 Der Arkonide Und Der Sonnenkönig
Augenblick kam der Jagdhund vom Karmin her, zupfte
mich vorsichtig am Ärmel und schaute unverwandt und auffordernd
hinüber zur Treppe. Ich verstand und nickte ihm zu. Niemand
hatte diesen Zwischenfall bemerkt. Während sich die anderen über
diese Pläne ausließen, entschuldigte ich mich kurz und
ging in unsere Räume hinauf. Sekunden später hatte ich die
Tür von innen abgeschlossen, klappte die Schatulle auf und
aktivierte den kleinen Bildschirm. Noch immer beobachtete der andere
Hund die Fremden.
Ich legte den Schalter um, der die akustische Verbindung freigab.
Zuerst sah ich kaum etwas, hörte aber eine Kette merkwürdiger
Geräusche. Es klang, als versuche jemand, eine Stimme
nachzuahmen. Dann drehte der Hund den Kopf und visierte auf meine
lautlosen Kommandos das Ziel an.
Ich murmelte verblüfft:
»Verdammt! Diannot de Jara!«
Er stand vor einem der Spiegel in seinem prächtigen kleinen
Zimmer. Aber er hatte sich verändert. Ich sah genauer hin und
drehte an der Schraube für die Scharfabstimmung. Dann erkannte
ich, daß er andere Kleider angezogen hatte. Ich runzelte die
Stirn, dachte nach, verglich die neuen Informationen mit Erinnerungen
meines perfekten Gedächtnisses und sah, daß de Jara Rock,
Hose und Stiefel des Königs trug. Oder völlig identische
Kopien.
»Nachts geht es nicht ... zuviele Wachen ... wohin mit dem
Körper ...?« verstand ich undeutlich. Der Empfang war
ausgezeichnet, aber Diannot hatte seine Stimme drastisch verändert.
Er bemühte sich,jemanden nachzuahmen ... wen?
Er zündete einige Kerzen an, stellte die beiden Leuchter vor
dem Spiegel auf und zog sich die Perücke über den Kopf.
Dann lachte er kurz.
»Niemand wird es merken. Niemand.«
Er unternahm einen Rundgang durch das Zimmer, wobei er sich auf
den Stock stützte. Von hinten und im Profil war er nun
tatsächlich mit der Majestät zu verwechseln. Und ich war
überzeugt, daß er auch ein Mittel finden würde, sein
Gesicht derart zu verändern, daß er selbst die nächste
Umgebung des alternden Monarchen täuschen würde.
»Zuerst lasse ich ... verschwinden!« flüsterte
er.
Er lieferte mir eine faszinierende Studie. Er schien in den Tagen
seit unserer Quartiernahme den König ununterbrochen beobachtet
zu haben. Sein Verhalten war derart verblüffend, daß es
fast wie eine Parodie wirkte. Verblüffender als das Original,
dachte ich.
Er ist tatsächlich so wahnsinnig und will in die Maske des
Königs schlüpfen! Du mußt es verhindern, sagte der
Logiksektor.
Ich lachte kurz auf und sagte mir, daß ich nicht nur das
Attentat auf den König verhindern mußte, sondern daß
auch gleichzeitig niemand und nichts auffallen durfte. Ertappte man
Nyder in dieser Maske, starb er zweifellos. Und mit ihm seine
Freunde. Also starben auch wir. Im selben Atemzug wußte ich,
daß ein gezielter Schuß nicht die richtige Lösung
war. Brauchte ich Vertraute?
Es schien besser zu sein.
Eine halbe Stunde sah ich zu, wie Diannot den Gesichtsausdruck und
die Gestik des Königs vor dem Spiegel einübte. Dieser Mann
hier besaß ein unheimlich wirkendes Talent zur Kopie, zum
Nachahmen anderer Menschen. Jetzt fehlten nur noch die Runzeln und
Falten, die charakteristische Nase und der mürrische
Gesichtsausdruck. Langsam trottete der Hund näher an Diannot
heran. Als der kosmische Vagabund die tappenden Pfoten hörte,
drehte er den Kopf und starrte das Tier an.
Auf meinem Bildschirm erschien in Großaufnahme das Gesicht
des Mannes.
Ich zuckte zusammen.
»Unfaßbar! Unglaublich!« flüsterte ich.
Der alte König sah mich an. Die Täuschung war fast
perfekt: Ohne jedes Hilfsmittel war es ihm gelungen, die Gesichtszüge
zu kopieren. Fügte man jetzt noch einige Narben, Falten und eine
andere Augenfarbe hinzu, würde jeder Mensch in Frankreich
Diannot für den vierzehnten Ludwig haten.
»Nun«, sagte Diannot mit der Stimme des Monarchen und
in dessen Diktion, »es beliebt dir, Hund, mich anzustarren.
Keine Sorge, ich habe mich nur verändert. Ich bin der alte
Diannot.«
Der Hund riß das Maul auf und gähnte. Dann schüttelte
er sich, klemmte den Schwanz zwischen die Beine und schlich zurück.
»Und eines Abends, wenn sich der Herrscher im Park ergeht,
werde ich ihn auswechseln!« sagte Diannot mit seiner normalen
Stimme und richtete sich auf. Er zog die Perücke ab und
verstaute dann nacheinander die einzelnen Kleidungsstücke in
einem Schrank, dessen Schlüssel er abzog.
Ich wartete noch einige Sekunden, dann schaltete ich
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