PR TB 110 Formel Des Todes
an Land und warten. Wir sind
Küstensegler, keine Schiffer, die das weite Meer lieben. Wir
sind vorsichtig, und weil wir vorsichtig sind, leben wir noch. Das
ist das Geheimnis!“
Er schlug Maras auf die Schulter und rannte nach achtern, wo er
den Steuermann, einen hünenhaften Mann mit breiten Metallreifen
an den nackten Oberarmen, mit einem Schwall von Flüchen
eindeckte. Maras hatte den Kapitän genau beobachtet; er war
geradezu verblüffend eifrig bemüht, die Ideallinie zu
segeln. Sie hatten guten halb-achterlichen Wind und kamen schnell vom
Fleck. Der alte Kasten mochte in der Stunde seine fünfzehn bis
achtzehn Kilometer fahren.
„Das ist das Geheimnis!“ murmelte Maras und schloß,
nachdem er einen langen Blick auf seine Finger geworfen hatte, die
Augen.
Er ließ seine Gedanken treiben.
Was Khodaina vorhergesagt hatte, war eingetroffen.
Nach und nach hatten sich die letzten hartnäckigen Schuppen
der Silberhaut gelöst. Unter ihr war eine leicht gebräunte
Hautschicht zum Vorschein gekommen, die keinerlei Härchen
erkennen ließ, abgesehen von den Brauen, dem wuchernden Bart
und dem Haupthaar. Nichts mehr deutete darauf hin, daß Maras
Lombardi noch vor Tagen „der silberne Mann“ geheißen
hatte. Seit drei Tagen ging die Fahrt mit diesem Schiff entlang
der Küste.
Tagsüber hatte sich Maras in der Sonne treiben lassen und war
trotz der Warnung des Kapitäns, sich ins Wasser zu wagen wegen
der Raubfische, an einem Seil angebunden einige Minuten hinter dem
Schiff hergeschwommen oder besser gezogen worden.
In den Nächten lag er an Deck, wo es am wenigsten stank. Er
versuchte, die Sterne zu erkennen und ihre Namen festzustellen, sah
den Mond wandern und das helle Glühen des Veränderlichen
Sterns, auf- und abschwellend, ein kosmischer Leuchtturm, ein
Hafenfeuer des Weltraums.
Und jetzt betrachtete er die Küstenlinie, die sich ständig
änderte.
.Der Kapitän kam wieder an Lombardis Platz, nachdem einige
Stunden vergangen waren. Aus dem Unterschiff dröhnten schwere
Hammerschläge herauf. Vielleicht versuchten die Matrosen, einen
Spalt zwischen den Planken abzudichten, indem sie Holzkeile
hineintrieben.
„Hier, etwas Essen!“ sagte Rackhel. „Fisch,
natürlich, und Brot aus dem letzten Vorrat. Wir legen morgen vor
dem Mittag an. Aber ...“
Die Enden des Schnurrbartes wurden energisch gedreht und nach oben
gebogen.
„Dein Mut scheint morsch zu sein wie der Kiel deines
Schiffes“, antwortete Maras lachend.
„Der Kiel des Schiffes ist hart wie Eisen!“ wich der
Kapitän aus. „Du hast viel erlebt, Wanderer. In der Tat
gibt es hier nur eine Gefahr, größer als Sturm und Flut.“
Maras aß langsam, während sich der Kapitän neben
ihn setzte und bekümmert zum Ufer hinblickte.
„Welche Gefahr?“
„Die Räuber, die Zoll fordern!“ sagte der Kapitän
und machte ein bekümmertes Gesicht. „Wir Küstensegler
fürchten sie alle, denn sie haben schon viele Schiffe in den
Grund gebohrt.“
„Das wird ja eine heitere Meerfahrt!“ knurrte
Lombardi. „Sie kommen aus einem Versteck in der Küste,
drohen euch und fordern Geld?“
„So ist es immer, Wanderer!“ meinte bekümmert der
Kapitän.
Maras warf eine Gräte über Bord und wischte sich die
Lippen.
„Nicht dieses Mal, Rackhel! Ich bin gewohnt, für
Gefälligkeiten zu zahlen“, er hielt inne und dachte mit
leisem Schmerz an Khodaina, „nein, nicht immer- aber in diesem
Fall werde ich zahlen.“
Die Bartspitzen senkten sich wieder.
„Du wirst uns helfen? Aber ein Mann mehr oder weniger?
Darauf kommt es nicht an, Maras!“
Maras sagte entschlossen:
„Diesmal wird nicht der Mann, sondern seine Waffe
entscheiden.“
Er erfuhr, daß trotz der Verbote der Schamanen Dherras Raub
in diesem Teil der Küstengewässer häufig vorkam. Es
gab da einen schwarzen Schnellsegler, der mit einer starken
Mannschaft Ruderer ausgerüstet war. Ausnahmslos galten die
Männer als hervorragende Bogenschützen. Sie pirschten sich
meist nachts an die langsameren Küstensegler heran und erhoben
Zoll. Wenn sich die Kapitäne weigerten, wurden sie getötet,
und mehrere Schiffe waren aus Wut oder Rache versenkt worden, nachdem
man sie mit Brandpfeilen beschossen und in Flammen gesetzt hatte. Er
entsann sich der Warnung Khodainas.
„Und wann geschieht das?“ wollte Lombardi wissen.
„Meistens in der Nacht.“ ]
Maras schüttelte den Kopf.
„Ich meinte, an welchem Punkt der Strecke?“
Der Kapitän deutete auf das leere Essenstablett, dann
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