PR TB 110 Formel Des Todes
sich, ob seine Ausrüstung vorhanden war und ging
langsam von der Verladestelle weg in den Schatten. Dort drehte sich
eine große hölzerne Trommel. In ihrem Innern führte
ein Sklave einen Koumura Roba an einem Zügel. Man hatte dem
echsenhaften Raubtier die Augen verbunden, die Nase mit triefenden
Lappen verstopft und Wasser in die Ohren gegossen. Das Tier ging
stets willig in die Richtung, in die es der Zügel führte.
Dadurch bewegte sich die Trommel und drehte durch eine
Zahnradübersetzung zahlreiche andere, Geräte, unter anderem
auch die Winde. Jetzt hob die Winde einen dicken Packen Papier hoch,
fast vier Kubikmeter groß. Taue ächzten und knirschten.
Zahnräder griffen ineinander, Schiebegestänge mit schweren
Eisenbeschlägen schlugen krachend hin und her. Kommandos und
Flüche ertönten, der Koumura grollte wütend und
hilflos.
Der vierzig Meter ausragende Ladebalken hob sich, schwang herum
und setzte das Papyruspaket auf das kleine Boot ab. Sofort wurden
zerfetzte Planen darüber gebreitet. Ruder senkten sich ins
stille Wasser, das Boot trieb lautlos und schnell davon. Während
der Balken knarrend und winselnd in schlechtgeschmierten Lagern
wieder zum Schnellsegler herüberschwang, verließ Lombardi
den Schatten und ging, das Boot nicht bewußt ansehend, dem
Kielwasser nach.
Zunächst wanderte er entlang der geschwungenen Kaianlage.
Menschen kamen ihm entgegen und überholten ihn. Bildhübsche
Sklavinnen mit Krügen und Körben auf den
Köpfen, Bürger mit dicken Bäuchen und schweren
Schmuckbändern, Frauen mit golden getönten Gesichtern und
phantastischem Kopfputz, nackt unter dünnen Gewändern.
Kleine Kinder, die zwischen den Beinen der Erwachsenen herumrannten
und mit Hunden und taubenähnlichen Vögeln spielten. Die
Bauten hatten prachtvolle Fassaden. Sie bestanden aus glatten
Putzflächen, die von zahllosen Bögen und Fenstern, von
prächtigen Türen und Pergolen unterbrochen waren, von
gemauerten Ornamenten in vielfarbigem Stein. Ein Haus drängte
sich an das andere. Kleine Erker sprangen vor und lugten neugierig in
die Straße hinein, zwischen alten Bäumen hervor und über
das Hafenwasser. Wie ein Schlafwandler glitt Lombardi zwischen den
Menschen, den kleinen Brunnen und den Bäumen hindurch. Er warf
ab und zu einen Blick auf das Boot, das sich unauffällig und mit
mäßigem Tempo entfernte.
Die Tsunamireiter?
Ein leichter Nebel kam vor den beiden Einfahrtstürmen des
natürlichen Hafens auf und verschleierte den Horizont. Alle
Geräusche wurden gedämpft; die Stimmen klangen wie hinter
einer dicken Wachsschicht hervor.
„AI Cur-Sura ...“, murmelte Maras versonnen.
Er kannte die alten Karten, die Gradnetz-Weltraumfotos. Natürlich
war die Luftlinie der kürzeste Weg zu der nördlichen Spitze
des engen, tiefeingeschnittenen Golfes. Es gab mehrere kleine
Hafenstädte, die mehr oder weniger regelmäßig von den
Küstenseglern angelaufen wurden. Die Entfernung nach AI
Cur-Sura, der Stadt des Mondes, betrug etwa hundertneunzig Kilometer
... Luftlinie.
„Wir werden sehen. Bisher habe ich erstaunlich viel Glück
gehabt!“ stellte Maras beinahe heiter fest.
Was hatte er zu verlieren?
Wenig, obwohl seine Haut inzwischen braun und kräftig
geworden war. Sogar die Härchen wuchsen bereits wieder. Keine
Spur mehr von der Lepra stellaris. Er ging weiter und betrat die
untersten Stufen einer langen Treppe, die sich auf einer langen
Brücke über einen Kanal krümmte. Schräg vor ihm
bog das Boot in einen zweiten Kanal ein. Ein Hund rannte die Treppe
herunter und jaulte vor Angst auf. Maras hob den Blick.
„Nein!“ murmelte er.
Rechts und links auf den Stufen saßen, kauerten und lagen
die Ausgestoßenen dieser herrschsüchtigen Stadt. Bleiche
Menschen mit dicken Bäuchen unter den Lumpen, mit spitzen
Ellbogen und Knien, die Haut von Geschwüren zerfressen. Sie
streckten ihm bettelnd die Handflächen entgegen - aber er hatte
nichts, was er ihnen geben konnte. Ein schneller Rundblick: Keine
andere Wahl. Verwirrt und wieder unsicher geworden hastete er die
Stufen hinauf und sah nicht nach links und rechts. Die klagenden
Schreie der Menschen verfolgten ihn. Auf der obersten Plattform stieß
er mit einem gutgekleideten Patrizier zusammen, der die Spitze einer
edelsteinbesetzten Tunika mit dem kleinen Finger hochhielt und nach
beiden Seiten Tritte austeilte.
„Entschuldigt!“ sagte Maras. „Ich war blind!“
Der Mann warf ihm einen wachsamen, schnellen Blick zu und sagte
scharf:
„Du
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