PR TB 129 Die Invasion Findet Nicht Statt
man selbst der drohenden Gefahr völlig
schutzlos ausgeliefert war. Dabei spielte es für die Intensität
der Reaktion keine Rolle, daß man nicht wußte, worin die
Gefahr eigentlich bestand. Niemand kannte das Motiv des Attentäters;
aber dieser Umstand trug eher dazu bei, die Furcht noch zu
vergrößern.
An diesem Tag kam es überall in den Betrieben der
Rüstungsindüstrie zu einer Lawine von Urlaubsgesuchen.
Die Industrie bediente sich aller legalen Mittel, um die Gewalt
der Gesuchslawine zu brechen. Den Verängstigten wurde gut
zugeredet, man bot ihnen höhere Vergütungen, man drohte
ihnen mit fristloser Entlassung: Es war alles umsonst. Nach dem
Arbeitsgesetz standen jedem Arbeitnehmer pro Jahr zehn Tage
Sonderurlaub zu. Wann er sie nahm, das war seine Sache. Nun hatte
keiner der um Urlaub Ersuchenden die Absicht, nach zehn oder weniger
Tagen an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Aber da keiner
einfältig genug war, um diese seine Absicht öffentlich
darzutun, hatten die Firmenleitungen keinen Grund, das Ersuchen
abzulehnen. Selbst in Fällen, in denen man bei besonders hart
getroffenen Betrieben geltend machte, weitere Gesuche könnten
nicht genehmigt werden, da bereits ein Drittel der Belegschaft
infolge Sonderurlaubs ausgefallen sei, kam man nicht zu Rande. Die
Abgewiesenen begannen zu murren und ließen verlauten, daß
sie auch ohne Urlaubsgenehmigung am nächsten Tag nicht mehr zur
Arbeit erscheinen würden.
Da wandte sich die Industrie an die Regierung. Der Rüstungsplan
war in ernstester Gefahr. Wenn die Urlaubslawine nicht aufgehalten
werden konnte, würde die Invasion der Strangelove-Ballung nicht
stattfinden. Die Regierung von Sinfal erkannte ihre
Verantwortlichkeit gegenüber den einundzwanzig Kalfaktoren und
handelte entschlossen. Um zwanzig Uhr an diesem Tag wurde ein Erlaß
verkündet, wonach ab sofort zum Verlassen des Planeten eine
Sondererlaubnis erforderlich sei. Der Erlaß ließ niemand
im unklaren darüber, daß keiner, der in einem
rüstungswichtigen Betrieb beschäftigt war, diese Erlaubnis
erhalten werde.
Damit ging denen, die sich in aller Eile hatten in Sicherheit
bringen wollten, die Luft aus. Nur zehntausend schafften es, Sinfal
noch vor Bekanntwerden des Erlasses den Rücken zu kehren.
Darunter waren mehr als die Hälfte Arbeitnehmer, die in den
Betrieben der Rüstungsindustrie schmerzhafte Lücken
hinterlassen würden. Aber die Hunderttausende, wenn nicht gar
Millionen, die ihnen gefolgt wären, mußten zurückbleiben:
Zwar war ihre Moral gebrochen, und sie würden in den
kommenden Tagen nicht halb soviel leisten wie sonst. Aber dagegen
ließ sich mit Überstunden Abhilfe schaffen. Die
Zentral-Galaktische Kriegsmaschinerie war in letzter Minute daran
gehindert worden stehenzubleiben.
Stephor Ginsk legte das Mikrophon des Diktiergerätes
beiseite, als Polko Varesch eintrat. Er lächelte matt.
„Haben Sie das etwa schon hinter sich?“ erkundigte er
sich.
Varesch erwiderte den forschendenBlick unsicher.
„Was hinter mir, Chef?“
„Ich diktiere soeben mein Abschiedsgesuch.“
Varesch warf unwillkürlich einen Blick auf die Digitaluhr.
„Ist es schon soweit? Lador von Sölling wird erst in
anderthalb Tagen aus dem Linearraum auftauchen. Meinen Sie nicht...“
„Nein, ich meine nicht“, unterbrach ihn Ginsk
resigniert. „Wer immer hier am Werke ist, ist uns gegenüber
im Vorteil. Der Mann versteht sein Geschäft. In anderthalb Tagen
fassen wir ihn nicht, und wenn der Hohe Kalfaktor neben dem
Geständnis meiner Hilflosigkeit mein Abschiedsgesuch findet,
wird er vielleicht gnädig genug sein, meinen Hals zu schonen.“
Polko Varesch machte ein betrübtes Gesicht.
„Oder haben Sie vielleicht inzwischen eine sensationelle
Entdeckung gemacht“, faßte Ginsk nach, „die uns aus
dem Schlamassel heraushelfen könnte?“
Mit sichtlicher Anstrengung schob Varesch die trüben Gedanken
beiseite.
„Nichts Sensationelles, Chef“, antwortete er, „aber
wir machen die üblichen Fortschritte. Wir wissen, wie der
Obelisk zum Einsturz gebracht wurde.“
„Mit einer Bombe natürlich“, grollte Ginsk.
„Natürlich“, echote Varesch. „Aber es war
eine besondere Bombe. Eine winzige nukleare Sprengkapsel vom
Fissionstyp, mit Neutronendeflektoren ausgestattet. Etwa so groß
wie ein Ei. Im Innern des Obelisken führte ein Liftschacht nach
oben, so daß Besucher und Touristen bis dicht unter die Spitze
des Denkmals fahren und von dort die Stadt überblicken konnten.
Die
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