PR TB 139 Die Sonnengeister
Siedler hatten nicht die geringste Chance. In zwei oder
drei Stunden würde es in ganz Belezinde keinen einzigen Menschen
mehr geben, der noch Herr seines Bewusstseins war.
»Was soll das alles?« fragte Norma rat- und hilflos.
»Wer schießt dort, und warum wird geschossen?«
»Ich habe nur eine Hypothese«, antwortete Yorn Bekker
der neben ihr stand.
»Und die heißt?«
»Die Quapax haben etwas gelernt. Man ist ihnen dreimal
feindlich entgegengetreten: einmal in Uule Ratterns Fall. Das zweite
Mal bei Nibor Terhaan, und zum dritten Mal bei Jariel Borr. In allen
drei
Fällen, müssen wir annehmen, sind die beteiligten Quapax
vernichtet worden. Diese drei können es also nicht gewesen sein,
die die Information von der schlechten Behandlung, die ihnen
widerfuhr, hinterbrachten. Aber ich nehme an, dass die Quantenbündel
im Augenblick der Zerstörung eine Art Warnimpuls ausstrahlen,
der von anderen Quapax einwandfrei empfangen wird. Es erfuhren also
auch die ändern Quapax, was ihren Genossen zugestoßen war,
die sich in Rattern, Terhaan und Borr eingenistet hatten. Besonders
aber erfuhren davon die zwei Quapax, die sich an Bord der STARRY
SKIES befanden.«
Norma Singer sah ihn verständnislos an.
»Was soll das alles? Was hat das mit Lernen zu tun? Wer hat
was gelernt?«
»Die Quapax selbst«, antwortete Bekker geduldig,
»besitzen wahrscheinlich keine Lernfähigkeit. Ich bin
nahezu sicher, dass ein Quapax nicht die Fähigkeit besitzt,
Schlüsse aus Erfahrungen zu ziehen und sein weiteres Verhalten
an diesen Schlüssen zu orientieren. Der Lernvorgang vollzieht
sich vielmehr im Innern von Shine. Von den zwei Quapax, die sich an
Bord der STARRY SKIES geschlichen hatten, erfuhr Shine, dass die
Menschen sich ihren Sendboten gegenüber in drei Fällen
feindlich verhalten hatten. Shine leitete diese Information an die
neue Generation von Quapax weiter, die sie kurze Zeit später
erzeugte und auf den Weg nach Neuffun brachte. Diese neue Generation
handelt also nach dem Grundsatz, dass die Menschen ihnen feindlich
gesinnt sind. Und was tun sie? Sobald sie sich im Gehirn eines
Menschen eingenistet haben, zwingen sie diesen Menschen, auf andere,
noch nicht Befallene zu schießen. Sie auszuschalten.«
»Diese Hypothese hat einiges für sich«, erklärte
Sunik, noch bevor Norma Singer ihre Zweifel anmelden konnte. »Sie
muss nur noch ein bisschen ausgefeilt werden. Der Mechanismus der
Informationsübertragung zwischen Shine und den Quapax bedarf der
Untersuchung. Ich hoffe, die Sache verhält sich nicht ganz so
schlimm, wie du andeutest, Herr Major. Das würde nämlich
bedeuten, dass auf jede neue Quapax Generation die Waffen und
Abwehrmittel, die wir gegen die vorhergehende entwickelt hatten,
nicht mehr wirken.«
Yorn Bekker zuckte mit den Schultern.
»Das ist eine Möglichkeit, die wir ins Auge fassen
müssen«, antwortete er. »Es gibt Bakterien, die sich
ebenso verhalten. Vor fünfzehnhundert Jahren, zu Beginn der
wissenschaftlichen Immunologie, hatten die Ärzte eine Menge
Ärger mit Bakterienstämmen, die in kurzer Zeit gegen neue
Antibiotika immun wurden.«
Über Belezinde war es inzwischen halbwegs ruhig geworden.
Noch immer gab es Brände, die dunkle Qualmwolken in die Luft
wirbelten; aber die wüsten Schießereien schienen
eingeschlafen zu sein. Yorn Bekkers Gruppe zog sich in ihr
Privatquartier zurück. Für Jariel Borr, der sich fast schon
als zur Gruppe gehörig betrachtete, war eigens ein Raum
hergerichtet worden.
»Was mich an dieser entsetzlichen Entwicklung berührt«,
sagte Guy Taitinger, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte,
»ist die Frage der Moral. Erweist sich an dieser Stelle,
dassjedes Wesen, selbstjedes intelligente Wesen, von Natur aus
schlecht ist?«
»Du nimmst dir am besten deinen Fryzenius noch
einmal vor und liest ihn aufmerksam durch!« spottete
ausgerechnet Sunik, denn für ihn als Robot waren die Werke des
bedeutendsten Moraltheoretikers des dritten Jahrtausends sicherlich
nur von sekundärem Belang. »Moral ist ein Begriff, der
sich nur auf intelligente Wesen anwenden lässt.«
»Also schön«, gestand Taitinger sein Unwissen
nicht ohne Unbehagen: »Jedes intelligente Wesen also. Ist das
richtig?«
»Nein.« Das war Yorn Bekkers Antwort. »Auch
unter intelligenten Wesen kann der Begriff der Moral nur dann
definiert werden, wenn es mehr als eines solcher Wesen gibt. Was ist
denn Moral anders als eine Sammlung ungeschriebener Gesetze, die das
Verhalten intelligenter
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