PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
aufgelöst oder verkleinert werden.
Mein Reichtum nahm aber zu, zumal mich ES mit Kupferstücken und
Silberstäben ausgerüstet hatte, die neben der Gerste den
Charakter von Geld bekommen hatten. Die Pferdeherde wollte behutsam
vergrößert werden; sie gehörten mir, diese Tiere.
Blieb für uns ein zentrales Problem, denn ES und Sharrukin waren
ein und dasselbe.
Ich als Wächter des Planeten, als Bewacher des Königs
mit den vielen Titeln, ich würde meine Maske ändern müssen.
Die erste Maskierung als Karawanenherr stammte von ES. Ich würde
eine eigene Ausdrucksform finden müssen. Ich öffnete die
Augen und starrte an die Decke. Sie bestand aus flachgeschlagenen und
geflochtenen Binsenmatten.
Gedämpft klang der leise Lärm des erwachenden Hauses und
dessen Umgebung an meine
Ohren. Enten und Hühner, die Pferde wieherten, Schritte und
Befehle, Gelächter und das Klappern metallener, hölzerner
und tönerner Gefäße. Dann zirpte laut und deutlich
abgehoben ein Saitenakkord durch die Geräusche.
Der Sänger! Denke an ES, sagte der Extrasinn.
Ein zweiter Akkord. Dann hörte ich, wie eine brüchige
Stimme leiernd begann:
„Der Liebling der Ishtar, des Weibes Rat senkte sich in sein
Herz, er begehrte sie, und sie trafen einander..."
Es gab eine Reihe alter Sagen und Epen die so ähnlich
lauteten. Ich kannte einen Teil davon. Sie waren im selben
ausschweifenden Stil verfaßt. Jeder kannte sie; aber für
mich lag in den Worten des unsichtbaren Sängers eine besondere
Bedeutung.
„ ... auf Befehl des großen Beraters Schamasch, des
Gottes der Sonne, möge es eintreffen ... möchte einen
Freund er gewinnen, einen Berater ... eine Stadt soll er ihm bauen,
die Herrscherin der Städte, die Perle des Reiches soll er machen
... der Freund, den der Geliebte der Ishtar gewinnt..."
So also lautete der Auftrag von ES. Der Sänger wiederholte
die einzelnen Strophen und varierte ihren Inhalt. Ich hatte genug
gehört. Ich wußte, daß der Bau einer Hauptstadt
nicht neu für mich war, daß er aber eine Vielzahl anderer
Probleme und Aktivitäten in sich barg. Nach dem Plan des
kosmischen Spielers, der mich und Sharrukin als Figuren benutzte, war
diese Aufgabe genau richtig.
Und noch immer ahnte ich nicht, wie ich die Herrschaft über
Sherengi wiedererlangen konnte.
Ich schwang mich von dem niedrigen Lager und stand auf. Meine
Kleidung lag gesäubert auf einer Tischplatte. Langsam zog ich
mich an und steckte nur den als Dolch getarnten Lähmstrahler
ein. Ich ging in einen der leeren Waschräume und wusch mich
flüchtig, dann trat ich hinaus in die Sonne.
Hinter mir rief Rhai-ghur:
„He, Freund! Ausgeschlafen, aber hungrig, nicht?"
Ich drehte mich nicht um, sondern sah interessiert zu, wie unsere
Pferde gewaschen und gestriegelt wurden. Die jungen Männer
verstanden ihr Handwerk. Die Tiere sahen bereits erholt aus.
„Ja. Und innerhalb gewisser Grenzen auch
unternehmungslustig. Zuerst das Essen."
Wir gingen zurück ins Haus. Der Kinnbart begann mich zu
stören, aber ich sah noch keine Veranlassung, ihn zu entfernen.
Eine junge Sklavin kam vorbei und schaute zu uns auf. Wir waren beide
mehr als einen Kopf größer als sie.
„Schönste Schwester", scherzte Rhai-ghur und hob
ihr Kinn mit dem Zeigefinger, „wir sind hungrige Gäste des
Königs. Habt ihr ein Stück Brot für uns?"
„Herr!" erwiderte sie unsicher, „alles ist
bereit. Wir warten nur, bis ihr uns befehlt, was ihr zu wünschen
beliebt."
„Das klingt gut", brummte ich. „Wir sind zwar
Gäste, aber noch nicht so groß, als daß wir etwas zu
wünschen belieben."
Wir folgten ihr durch eine Reihe von Zimmern hinaus auf eine
schattige Terrasse. Dort stand ein von Essen förmlich
überladener Tisch, der uns auf einem Blick zeigte, was dieses
Land seinen Bewohnern bieten konnte. Es war viel. Brot aus Gerste,
Butter, Käse und Milch, kleine Hühnereier, verschiedene
Braten von Flußvögeln, Hühnern, Schweinen, ein
Dutzend verschiedener Früchte, zwei Krüge kaltes Bier,
Honig und Melonen, Holzteller, Löffel und Messer lagen bereit
und Tücher aus Leinen. Wir setzten uns und ließen uns
bedienen. Ein Becher Bier beendete das Essen. Rhai-ghur strahlte die
Mädchen an und flüsterte lüstern:
„Ich werde mich bei euch allen bedanken. In den Nächten,
Schwestern des Glücks!"
Gegen Mittag holte uns ein Bote ab und brachte uns in den Palast.
Wir gingen zuerst durch einen langen Saal, der die Form eines Tunnels
hatte. Im Hintergrund flankierten jeweils zwei
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