PR TB 159 Insel Der Ungeheuer
Sternbildern
erkennen wird!« fuhr Ranthys fort und goß aus dem
Weinschlauch einen plätschernden Strahl in die Becher. Ich
dachte an Derione.
Ich hörte zu spielen auf und ergriff den Becher.
»Ich habe gewisse Erinnerungen«, sagte ich deutlich.
»Ich schlafe in dieser verfluchten Kuppel seit Jahrtausenden
und versuche immer wieder, ein Raumschiff zu finden, das mich
zurückbringt in meine Heimat. Bisher völlig umsonst. Ich
habe mit Königen gekämpft, habe
tausend verschiedene Dinge erfunden und an anderer Stelle ein
zweites und drittes Mal erfunden. Ich habe Reiche entstehen sehen, an
denen ich mitgebaut habe, und wenn ich sie heute suche - wo sind sie?
Meine Ideen von einer Welt voller Vernunft und ohne vermeidbare
Gewalt: eine Illusion. Die Zeit bringt alle und alles um, verändert
alles. Nichts ist berechenbar. Und auch unsere Taten und scheinbaren
Wunder auf Kefti - oder wie später einmal diese Insel heißen
wird, wenn nicht Erdbeben oder eine Sturmflut sie verwüstet -
sind nichts anderes als ein Tropfen Brennstoff, der die Maschine der
ziellosen Kultur in Gang hält.
Unsere Absichten? Vielleicht verschaffen wir den geschundenen
Barbaren ein Jahrzehnt, in dem die meisten nur durch Seuchen und
Wundbrand sterben und nicht durch Krieg oder Kampf. Mehr werden wir
niemals tun können.
Ich verstehe selbst nicht, warum ich an solche Lächerlichkeiten
wie zwei getötete Störenfriede so viele wertvolle Gedanken
verschwende.«
Ich leerte den Becher und setzte die Hirtenflöte wieder an
die Lippen. Viele Arbeiter in Knossos spielten darauf; klagende,
melancholische Weisen, die von der Sinnlosigkeit des Lebens
erzählten.
Ranthys sagte nach einer langen Weile:
»Wahrscheinlich muß man alt und abgeklärt sein,
um dies alles so klar zu sehen wie du, Atlantos.«
»Nein«, erwiderte ich gähnend. »Nur alt.
Und darüber hinaus darf man nicht die Illusion haben, ein
einzelnes Planetenwesen wäre mehr als ein Sandkorn an einem der
unzähligen Strände.«
»Ich zögere, dir recht zu geben!«
»Dadurch zeigst du, Ranthys, daß du klüger bist
als ich!« schloß ich und streckte mich aus. Die warme
Nacht und der Anblick der Sterne schläferten mich ein.
Etwa sechshunderttausend Menschen gab es auf Kefti. Rechneten wir
Säuglinge, Kinder, Greise und umherstreifende Jäger oder
Hirtenfamilien ab, dann suchten eine Viertelmillion Menschen nach
Laamia. Viele von ihnen würden zum erstenmal ihren Namen
erfahren und den Umstand, daß aus einigen Bauernweilern im
nördlichen Zentrum der Insel eine Palaststadt mit Hafen
entstand: Knossos. Das Gebiet, das wir von der Morgendämmerung
bis jetzt durchschritten hatten, war leer gewesen - menschenleer,
aber von Tieren aller Art erfüllt. Ich schirmte die Augen mit
der Hand ab und sagte:
»Ich kann nichts erkennen. Der Himmelsraum scheint frei zu
sein. Wollen wir es wagen?«
Ranthys tippte mit einem Finger gegen mein Armband.
»Was meldet Boreas?«
»Nichts. Das heißt, er meldet, daß sich niemand
hier herumtreibt.«
Wir hatten die Pferde unter dem letzten größeren Baum
angehalten. Vor uns lag das stille kleine Tal, in dessen Mitte der
Bach mit seinen verschlammten Ufern strömte. Hier weideten nur
wilde Rinder oder Hirschrudel. Ab und zu hatten wir eine Wolfsspur
gesehen, aber der Wildreichtum machte die grauen Räuber
verhältnismäßig satt und daher ebenso friedlich. Nur
in Nächten hörte man die Schreie, mit denen die Wölfe
den Mond anheulten.
Jenseits des Baches erstreckte sich ein breiter Streifen Büsche.
Die Höhe und Dichte der Gewächse nahm ungleichmäßig
ab, je steiler der Hang wurde. Irgendwo dort oben war die Höhle
mit Derione, Sherengi und Laamia.
»Los. Je schneller, desto sicherer!« sagte Ranthys und
lockerte den Schenkeldruck.
Wir trieben die Pferde an. Wir sprengten aus dem schwarzen
Schatten hinaus, ritten geradeaus durch Schlamm und Wasser, dann
rücksichtslos durch die Büsche, bis wir den Pfad
erreichten. Er war für Hirsche oder Bergesel gemacht, aber nicht
für Pferde. Immer wieder, während wir die Flanken der
Pferde peitschten und schräg neben dem Hals der Tiere in den
Bügeln oder besser Ringen hingen, suchten unsere Augen das
Gelände ab. Ich wartete förmlich auf einen Angriff der
Stimvaleed, auf Boreas, der warnend herunterraste, oder die beiden
sichelförmigen Schatten der H'arpeji. Wir ritten die Serpentinen
hinauf und sprangen erst ab, als die schweißtriefenden Tiere
vor der dunklen Öffnung der Höhle scheuten. Derione
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