PR TB 162 Karawane Der Wunder
sich
selbst zu. Jetzt war der einzelne Reiter auf ihn aufmerksam geworden.
Rantiss war zu klug, und er ließ keine der üblichen
Zeichen und Gebärden aus. Sie waren einzelne Punkte in einer
fremden Umgebung, sie hatten den ungeschriebenen Gesetzen der Zeit zu
gehorchen. Er wurde langsamer, hob den rechten Arm und kehrte die
ungeschützte Handfläche in Augenhöhe nach vorn. So
ritten sie aufeinander zu; auch der andere Mann machte diese
universelle Friedensgebärde. Rantiss hob den Schild. Jetzt sah
er, daß auch der andere Schild glänzte und leuchtete wie
ein Spiegel. Sie waren noch einen Bogenschuß weit entfernt, als
Rantiss das weiße, nackenlange Haar des anderen erkannte.
»Atlan!« schrie er mit aller Kraft.
Dann setzte er zum letztenmal die Stacheln ein. Sein Hengst war in
zwanzig Sätzen an der Seite des anderen Reiters.
»Rantiss!« brüllte Atlan auf und sprang aus dem
Sattel seines langsam gehenden Tieres. Rantiss schwang ein Bein aus
dem Bügel und sprang in vollem Galopp ab, rannte auf den anderen
zu. Sie erkannten einander.
Nianchre und Asyrta-Maraye sahen überrascht den beiden
Männern zu.
Als der Reiter mit einem artistischen Satz aus dem Sattel sprang
und mit ausgebreiteten Armen auf Atlan zurannte, breitete auch Atlan
die Arme aus und blieb starr stehen. Beide Männer lachten
brüllend, wie Narren. Immer wieder hörte der Ägypter
die Worte Rantiss und Atlan, dazwischen Sätze in einer
unbekannten Sprache. Die beiden fielen sich in die Arme, schlugen
sich auf die Schultern und die Rücken, schüttelten sich die
Hände, lachten wieder, sprangen wie übermütige
Schafböcke in die Höhe, schrien Worte und Sätze in
schauerlichem Kauderwelsch, und schließlich blieben sie
erschöpft stehen. Inzwischen war die Karawanenspitze näher
gekommen.
»He! Aus dem Weg!« schrie der Ochsentreiber nach vorn.
Atlan und der Mann, der überraschend aus der Steppe aufgetaucht
war, packten ihre Pferde und wichen seitlich aus. Während die
ersten Wagen und Gruppen der riesigen, breiten und langen Karawane
herankamen, sagte Rantiss schwitzend und glücklich:
»Ich hoffe, du kennst den Rest des langen Marsches. Bis
hierher habe ich es geschafft. Meine Männer suchen das Land, in
dem sie Fürsten sein werden.«
»Ich kenne das Ziel, Rantiss. Und wir werden viel
miteinander sprechen müssen. Den Herbst wandern wir noch, aber
in zwei, drei Monden brauchen wir ein festes Lager. Wieviel Männer
hast du?«
»Fast zweihundert. Und sie sind alle durch meine harte
Schule gegangen.«
»Wir werden alles gut überstehen. Warte, bis wir das
Zelt aufgebaut haben. Wo sind deine Leute?«
Rantiss sah sich um. Schließlich entdeckte er die Spitze der
Reiterkolonne, die sozusagen auf die Mitte der Karawane zielte und in
ihrer Größe nicht abschätzbar war.
»Dort sind sie. Sie haben Ruhe und Entspannung nötig,
denn wir sind über das Gebirge gekommen. Oder besser gesagt,
durch das Gebirge. Es war anstrengend.«
»Wir haben eine gute Karte und schlichen im Zickzack durch
die Täler. Die Wagen, du verstehst?«
»Natürlich. Wann rasten wir?«
Sie sahen gleichzeitig nach der Sonne. Rantiss fühlte eine
Zuversicht, die aus dem Eindruck kam, er habe gestern abend Atlan zum
letztenmal gesehen, habe mit ihm gestern abend zum letztenmal
gesprochen und getrunken. Er war sicher, daß sie beide durch
eine lange Geschichte verbunden waren, aber ihm fehlte jede
Erinnerung daran. Eines jedoch war wichtig: Sie waren noch immer die
alten, zuverlässigen Freunde.
»Bei Sonnenuntergang. Dich und deine Männer werden wir
aufnehmen wie liebe Gäste. Wir werden euch verwöhnen,
Rantiss.«
»Ich fürchte, die meisten von uns haben es nötig.«
Sie blieben neben ihren Pferden stehen und sahen zu, wie die
Wunderbare Karawane an ihnen vorbeirollte. Menschen, Tiere, Wagen,
Lasten, Herden, Treiber, Vieh, Staub und abermals Lasten, es mußten
Tausende sein, schätzte Rantiss. Und inzwischen waren auch seine
Leute herangekommen, und Skath und Tantri ritten heran.
»Ich habe es euch versprochen«, schrie Rantiss
begeistert und lachte breit. »Das hier ist der Vater der
Karawane, der Überwinder der Entfernung. Wir reiten neben der
Karawane entlang bis zum Abend. Dann werden wir beide vor euch
hintreten und alles erklären. Sagt es den Männern. Alles
geschieht heute abend.«
»Wir gehorchen!« antworteten die Unterführer und
ritten zurück zu der wartenden Kolonne.
Und so wälzte sich die Karawane, auf ihrer nördlichen
Seite eskortiert von
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