PR TB 169 Der Purpurne Drache
innerhalb
von zwei Stunden vom nördlichen bis zum südlichen Ende des
breiten, in Tod und Vernichtung erstarrten Streifens. Es blitzte,
donnerte und hagelte ununterbrochen. Jetzt wälzten sich von
allen abschüssigen Stellen die Schlammassen talwärts und
rissen Trümmer und die Kadaver von einigen Millionen Meereswesen
mit sich.
Und noch immer stiegen explosionsartig aus dem neuen Binnensee die
Dampfmassen in die Höhe. Die Detonationen schlugen als
dauernder, ferner Donner an die Ohren der überlebenden Fischer.
Die kommende Ebbe riß viel zerstörtes Zeug wieder
hinaus ins Meer, aber alles, was in zehnjähriger Arbeit
aufgebaut worden war, existierte nicht mehr.
Die Mucys, die in der zerstörten Zone noch lebten, stellten
plötzlich ihre Unterhaltungen ein.
Eine Art geistiger Seuche ergriff sie alle gleichzeitig. Sie zogen
Messer und Fischspeere hervor. Diejenigen, die nichts dergleichen
hatten, wühlten im Schlamm nach Steinen. Andere kletterten mit
letzter Kraft die Hänge aufwärts und brachen die langen
Dornen der Sträucher heraus. Wieder andere bissen mit den Zähnen
dünne, fast unzerreißbare Lianen ab. Wieder andere,
hauptsächlich die Frauen, kauerten sich nieder und rissen Fische
und Seegetier auf und lachten irre, als blutige, lange Gräten in
ihren Fingern aufblitzten.
Ein breitschultriger Mann, in dessen Haut die Stacheln von
riesigen Seeigeln steckten, setzte das Messer an und zog lachend das
summende Ultraschallgerät durch seine Kehle. Noch bevor er
blutüberströmt in den Schlamm stürzte, hatte man ihm
die Waffe aus den Fingern gerissen. Eine Frau stieß sich das
Messer in die
Brust, zog es heraus und betrachtete es voller Verblüffung,
ehe sie tot niederstürzte.
Eine Gruppe schlang Knoten in die Ranken und Lianen und
erdrosselte sich.
Mehrere Mucys stachen sich die spitzen Teile aus Fischbein in die
Hälse oder in die Brust. Niemand sprach, niemand schrie. Die
Massenpsychose, ein schauerliches Gemetzel, lief völlig
geräuschlos ab. Binnen weniger Minuten gab es keinen einzigen
Überlebenden mehr.
Leichen, nichts als Leichen. Ganz langsam beruhigte sich die
Natur. Es gab keine Zeugen und keine Beobachter. Nur hoch im
Firmament, das sich jetzt mit weißen Wolken zu füllen
begann, erschien ein winziger schwarzer Punkt. Nach einer Weile waren
aus dem einzelnen Punkt ein Dutzend, später mehrere Dutzend
geworden. Die Punkte verwandelten sich, je tiefer sie in vollkommen
kreisförmigen Bahnen segelten, in sichelförmige Silhouetten
von Aasvögeln. Kurz vor Mittag stieß der erste riesige
Geier herunter. Geheimnisvolle Signale riefen im Lauf des Tages
Hunderte und Tausende von Aasvögeln herbei. Von ihnen wurden die
Raubkatzen und vierfüßigen Leichenfresser herbeigelockt.
Sie kamen alle aus Westen und hatten eine reich gedeckte Tafel.
Auch das sah niemand.
Nur Troncas Mirr, ein Anführer aus dem Stamm der Esser der
Pilze, war beunruhigt. Er hatte in der Nacht nach den zwei Beben
seltsame Geräusche gehört und merkwürdige Vorgänge
am
östlichen Horizont zu sehen geglaubt. Ehe er nach Westen
flog, um den Arkoniden zu treffen, steuerte er seinen Gleiter in die
entgegengesetzte Richtung und sah jenseits der waldbedeckten Hügel
die ersten Zeichen der Zerstörung, nämlich Reihen von
umgelegten Bäumen. Je mehr er nach Osten flog, desto grausigere
Bilder mußte er sehen. Schließlich schaltete er seinen
Minikom ein und unterrichtete Djosan Ahar von seinen Beobachtungen.
Troncas suchte überall, fast einen halben Tag lang, aber er fand
keinen einzigen Überlebenden.
Es war unbegreiflich, daß er seinen Verstand behielt und
berichten konnte. Vielleicht rettete ihn gerade dieser Umstand, der
ihn beschäftigte und ablenkte. Nach der Populationstabelle
konnte Djosan Ahar ganz schnell ablesen, ohne rechnen zu müssen,
daß rund zwei Prozent der Bevölkerung Karthagos in dieser
Nacht ausgelöscht worden waren.
Und dann funkte Mirr, daß er Beweise für einen
kollektiven Selbstmord von etwa hundert Individuen hatte.
»Kommen Sie so schnell wie möglich zu uns«, sagte
Djosan. Seine Stimme klang wie die eines Greises.
Mirr zwang sich zu einer Frage, die ihm fast auf den Lippen
einfror.
»Soll ich Bilder machen? Ich habe einen Apparat bei mir.«
»Wenn überhaupt, dann nur aus großer Höhe«,
schrie Djosan auf. »Fliegen Sie die Große Gelbe Mauer
ab.«
»Oder das, was von ihr noch übrig ist.«
Mirr hörte, wie Djosan aufstöhnte.
»Und dann kommen Sie hierher. So bald wie
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