PR TB 169 Der Purpurne Drache
möglich.«
»Geht in Ordnung, Mann von Gäa«, war die Antwort.
Mirr hatte Stürme und Gewitter erlebt, stürzende Bäume
gesehen und Flüsse, die nach dem Regen ihre Wasserführung
versiebzigfachten. Aber er kannte weder den Begriff noch den
Entstehungsgrund einer Tsunami. Er verstand nicht, was vorgefallen
war. Aber er nahm die Bilder des Schreckens auf und war sicher, daß
die klugen Männer von Gäa ihm und den anderen erklären
würden, was diese gewaltigen Zerstörungen ausgelöst
hatte. Er trauerte nicht einen Sekundenbruchteil lang um die rund
tausend Toten; Trauer war ihm fremd. Aber zahllose andere
Empfindungen stritten miteinander in seinen Gedanken. Daher kam er,
Sekunden später, bleich und mit schmerzendem Magen, in die
Gegend des schwarzen Turms im Zentrum des Subkontinents.
Troncas Mirr war weder einer der ersten noch der letzte. Er sah
rund drei Dutzend Gleiter aller Größen. Sämtliche
Zeichen waren vertreten, sämtliche Abteilungen aller fünf
Siedlungsgebiete befanden sich in der Nähe des Raumschiffes.
Überall standen Gruppen von aufgeregten Kolonisten herum. Er
landete seinen Gleiter, stellte ihn sorgfältig ab und versuchte,
im Gewühl der Menschen Djosan oder den Arkoniden zu erkennen.
Nach zwei Stunden sah er Atlan im Kreis von Leuten, die so
fremdartig wirkten, daß er sicher sein konnte, die Crew von Gäa
vor sich zu haben. Schweigend und krank vor Enttäuschung und
Angst bahnte er sich einen Weg in die Richtung Atlans. Er wollte ihm
sagen, daß er den Drachen gesehen hatte: am Tag, keineswegs
purpurn, aber noch furchtbarer als in den Träumen.
Hin und wieder rauschte ein großer Raubvogel im Sturzflug
vorbei und zerschnitt mit seinen Schwingen die heiße Luft. Es
war früher Nachmittag. An diesem Tag herrschte eine lähmende
Hitze; obwohl die Wolken von Westen nach Osten schnell über den
Himmel drifteten und unaufhörlich ihr Aussehen veränderten,
gab es zwischen schwarzem Turm und der KHAMSIN nicht einen Lufthauch.
Rund um das Schiff, im Schatten, hufeisenförmig vor der
ausgefahrenen Rampe, hatten sich etwa zweihundert Personen in den
Sand gesetzt. Einige Lautsprecher und kabellose Mikrophone waren
aufgestellt und ausgeteilt worden. Murmelnd unterhielt sich die
Menge; eine fast greifbare Spannung hing in der Luft. Sie waren alle
mehr als nur gereizt — Gerüchte und Beobachtungen,
Nachrichten und Vermutungen bildeten bizarre Muster und wurden
ununterbrochen ausgetauscht und diskutiert.
Fast alle Besucher von Gäa befanden sich zufällig in der
Nähe der Rampe und der Polschleuse. Die Masse der Besucher wich
auseinander, eine Gasse entstand, und neben Drigene kam Djosan
Ahar auf das Schiff zu. Mit ernstem Gesicht grüßte er
nach allen Seiten. Dies war keine Versammlung von exotischen
Stammeshäuptlingen, sondern eine Zusammenkunft von teilweise
hochqualifizierten Technikern und Verwaltungsfachleuten. Hinter den
in Reih und Glied aufgestellten Gleitern parkten die
Materialtransporter aus allen fünf Siedlungsbezirken.
Wie auf ein geheimes Zeichen hörten die leisen Unterhaltungen
auf. Das Team von Gäa kam aus der Schleuse, als Djosan mit dem
Mädchen in der Mitte der Rampe ging. Atlan, den auch jeder
erkannte, der ihn heute zum erstenmal sah, trug einen
uniformähnlichen weißen Safarianzug und hielt ein
Mikrophon in der Hand. Er hob den rechten Arm und ließ seinen
Blick schweigend über die Versammlung gleiten. Die Stille wurde
noch dichter, man hörte die Grillen und die Schreie unsichtbarer
Tiere aus den nahen Wäldern. Einige Sekunden lang betrachtete
Atlan die erwartungsvollen Gesichter der Menge, die aus rund einem
Drittel Frauen und dem Rest Männern bestand. Dann sagte er
voller überzeugender Ruhe und deutlich betont:
»Meine Freunde! Ihr habt uns erwartet, weil ihr von uns -
unter anderem - Aufklärung erwartet habt. Diese Aufklärung
wird euch heute in vollem Umfang erteilt, und nach einer Art Vortrag
werden wir alle oder fast alle Fragen beantworten. Im Lauf des
letzten Tages ist sehr viel, fast zu viel geschehen, aber dies lassen
wir vorläufig außer acht. Zuerst wird unser Freund
Ghoum-Ardebil, ein Angehöriger des Volkes der Aras, euch etwas
über eure eigene Vorgeschichte erzählen. Bitte,
Ghoum-Ardebil!«
Atlan wollte ihm das Mikro in die Hand drücken, besann sich
aber und erklärte:
»Der Ara verträgt das Sonnenlicht nicht, deshalb trägt
er diese Maske. Seine Haut verbrennt in der Sonne.«
Der Ara griff nach dem Mikro und sagte mit tiefer,
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