PR TB 203 Rote Sonne Uber Rubin
Stadt. Wie ein
Verdurstender sauge ich alle Eindrücke in mich auf. Die meisten
Gebäude sind verlassen und dem Zerfall preisgegeben, einige nur
mehr Ruinen, von heftigen Unwettern und Beben zerstört. Es macht
mir nichts aus. Für mich ist es ein Bild, dem es fast gelingt,
meine Trauer durch nostalgische Freude zu verdrängen.
»Sieh es dir an«, fordert Susan mich auf. Ihre Stimme
klingt belegt, traurig, fast erstickt. »Willst du wirklich in
dieser Einöde leben? In diesem Getto aus Zerstörung und
Verfall?«
»Ich will hier nicht leben.« Ich wundere mich, wie
ruhig ich plötzlich bin. »Ich bin hergekommen, um zu
sterben.«
Sie schreit:
»Sei still! Du sollst so etwas nicht sagen!«
Langsam senkt sich der Gleiter nach unten. Vor unserem Haus kommen
seine Maschinen zur Ruhe. Seit dem letzten Unwetter ist hier nichts
mehr aufgebaut oder instand gesetzt worden. Seltsamerweise sind kaum
Zerstörungen zu erkennen, unser kleines Eigenheim, in dem ich so
viele Jahre meines Lebens mit Marina und der kleinen Susan glücklich
war, wirkt einladend und keineswegs baufällig. Andere Häuser
in der Umgebung sehen schlimmer aus.
Wir verlassen das Fluggerät und gehen auf den Eingang zu. Im
Garten wuchert das Unkraut. Zier- und Zuchtpflanzen gibt es hier
längst nicht mehr, sie sind unter dem Druck der ungesteuerten
Vegetation erstickt. Es ist merkwürdig, daß auch das, was
jetzt auf ungepflegter Erde wächst, in gewisser Weise eine
ästhetische Wirkung entfaltet.
Von innen macht das Haus einen verwahrlosten Eindruck, der sich
mit dem äußeren Bild kaum vereinbaren läßt.
Aber das ist nicht verwunderlich. Seit Jahren hat sich hier niemand
mehr aufgehalten, und die Beben haben vieles von der Einrichtung in
Trümmer gelegt. Dichter Staub überall, chaotische
Unordnung, Relikte und Überbleibsel einstiger Behaglichkeit.
Strahlen rötlichen Lichts fallen durch die zum Teil glaslosen
Fenster und beleuchten alles mit grausamer Deutlichkeit. Der Boden
unter meinen Füßen knarrt leise.
»Ich werde dich hier nicht allein lassen«, sagt Susan.
Sie ist in der Tür stehengeblieben und lehnt mit blassem Gesicht
am Rahmen.
»Wir hatten es vereinbart«, erinnere ich.
Sie schüttelt schwach den Kopf.
»Ich kann es nicht verantworten. Du wirst hier seelisch
zugrunde gehen.«
»Das glaube ich nicht.« Irgendwie wirkt sie wie ein
Schemen aus einer anderen Welt, ein Schatten im hereinbrechenden
Sonnenlicht, keine zehn Schritte entfernt und doch in unerreichbarer
Ferne. »Wir haben Unmengen von Lebensmitteln gelagert, die
mindestens zwei Monate ausreichen. Und um meinen Seelenfrieden
brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich bin hier zu Hause.«
Sie streckt einen Arm aus, tritt einen Schritt auf mich zu, bleibt
unschlüssig stehen. Ich merke, wie ich mich mit jeder Sekunde
weiter von ihr entferne.
»Du kannst das nicht von mir verlangen!« Sie preßt
die Worte hervor, ich höre die Verzweiflung, die Verbitterung,
die sie erfaßt hat, ihr mühsam unterdrücktes
Schluchzen. »Ich. bitte.!«
»Ich habe, mich entschieden. Mach es dir nicht selbst so
schwer.«
Ich gehe zu ihr, streiche ihr über das Haar. Ihre Wangen sind
feucht, erst jetzt merke ich, daß sie weint. Ich wollte es
umgehen, vermeiden, aber in einem Impuls fallen wir uns in die Arme.
Susan ist ein leidendes Bündel Mensch, das den Vater nicht
seinem Schicksal überlassen will, das in Trauer und Bitterkeit
erstarrt und keinen Ausweg weiß. Eine Sekunde trage ich mich
mit dem Gedanken, mit ihr zurückzukehren zu den anderen, die
letzten Tage im Kreis meiner Angehörigen zu verbringen.
Aber die Sekunde verstreicht. Ich gehöre nicht mehr zu ihnen,
ich würde meinen Frieden nirgendwo sonst als hier finden. Sie
sind anders.
»Bitte geh jetzt.« Mühsam halte ich die Tränen
zurück und löse mich aus der Umarmung. »Ich möchte
allein sein.«
Ich weiß, daß sie es nicht versteht. Sie wird es nie
verstehen können.
»Ich werde nach dir sehen«, verspricht sie. Ihr Kopf
ist gesenkt, als sie sich langsam umwendet. Mit steifen Schritten
geht sie nach draußen, durch den Vorgarten.
Ich will ihr etwas nachrufen, will ihr für alles danken, ihr
sagen, daß sie sich keine Sorgen machen soll - aber ich tue es
nicht. Ich höre das Brummen des Gleiters, das Rauschen, als sich
die Maschine vom Boden erhebt und in den Himmel hineinstößt.
Schnell werden die Geräusche leiser, bis sie endlich versiegen.
Ich bin allein.
Lange stehe ich unbeweglich da. Es fällt mir nicht
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