PR TB 203 Rote Sonne Uber Rubin
leicht,
die Eindrücke der letzten Minuten zu verarbeiten und zu
verkraften. Es war ein schmerzhafter Abschied, und ich habe das
Gefühl, als müsse es mir die Seele zerreißen. Ja, es
war mein Wunsch, aber das allein erleichtert nichts.
Meine Schritte sind schleppend, als ich endlich die Kraft finde,
mich aus der Starre zu lösen und die Wohnung etwas herzurichten.
Die Vorratskammern sind gefüllt, ich selbst habe es vor Jahren
veranlaßt. Weder Hunger noch Durst werde ich leiden. Daß
es schon lange keinen Strom mehr in der Stadt gibt, stört mich
nicht. Die Konserven sind auch in kaltem Zustand genießbar, und
meinen Lebensrhythmus werde ich dem natürlichen Wechsel von Tag
und Nacht angleichen. All die Jahre, die ich mit den anderen in
freier Natur zugebracht habe, war dies nicht anders. Das ist mein
Tribut an die Strahlung
der roten Sonne.
Schon nach wenigen Tagen wird mir bewußt, wie schwer die
Einsamkeit zu ertragen ist. Oft gehe ich durch die Straßen und
hoffe, jemandem zu begegnen, der gleich mir das Leben in der
Isolation dem Schattendasein unter parapsychisch begabten Rubinern
vorzieht. Ich finde niemanden. Wenn es in der Stadt weitere Eremiten
gibt, so leben sie nicht in diesem Teil. Für längere
Märsche habe ich nicht mehr die Kraft, und ein Fluggleiter steht
mir nicht zur Verfügung. Ich muß mich damit abfinden. Ich
wollte es nicht anders.
So lange ich es noch kann, konzentriere ich mich darauf, das Haus
in einem bewohnbaren Zustand zu halten und dem Garten etwas von
seiner uferlosen Wildwüchsigkeit zu nehmen, eine menschliche
Oase zwischen den Mauern einer toten Stadt zu erhalten. Doch meine
Energie und meine körperliche Substanz gehen von Tag zu Tag
zurück. Das Alter macht sich mehr und mehr bemerkbar. Der Tod
rückt näher.
Oft habe ich mich gefragt, woher ich es so sicher weiß. Ich
leide nicht an einer organischen Krankheit, habe weder Schmerzen noch
körperliche Beschwerden. Das Herz mag mit den Jahren etwas
schwächer geworden sein, das eine oder andere innere Organ
arbeitet vielleicht nicht mehr mit gewohnter Präzision. Aber das
sind normale Erscheinungen, die nicht zwingend zum Tod führen
müssen.
Nein, es ist anders. Ich weiß, daß meine Zeit gekommen
ist, daß ich alt bin und sterben werde. Irgendwann werde ich
einschlafen, ohne daß es sich vom Schlaf des Lebenden
unterscheidet. Ich werde keine Schmerzen leiden. Manchmal denke ich,
daß die Sonnenstrahlung auch für dieses humane
Hinübergleiten in das Reich der Toten verantwortlich sein
könnten. Vielleicht ersetzt die Sonne das qualvolle Sterben
früherer Generationen durch rechtzeitigen, kaum spürbaren,
aber bewußten Abtritt.
Je länger ich Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken,
desto tiefer sind meine innere Ruhe und Ausgeglichenheit geworden.
Zufriedenheit erfüllt mich, die Abgeschiedenheit, in die ich
mich freiwillig begeben habe, verhilft mir zur Einsicht und zur
Selbstverwirklichung, fördert die Bereitschaft zur Meditation.
Ich habe mein Leben gelebt, und ich begreife, daß es wert war,
gelebt zu haben.
Kurioserweise habe ich aufgehört, die Tage zu zählen.
Ich weiß nicht, wie lange ich mich schon in der Stadt aufhalte,
als ich spüre, daß es soweit ist. Völlig erschöpft
von einem längeren Spaziergang habe ich mich in mein Bett
gelegt, um etwas Erholung zu finden. Wenn ich den Kopf zur Seite
wende, kann ich durch das Fenster nach draußen sehen, wo die
Sonne ihre heißen mittäglichen Strahlen über das Land
sendet.
Müde bin ich, entsetzlich müde. Ich schließe die
Augen und werde von Minute zu Minute ruhiger. Ich habe keine Angst
vor dem Tod. Ich spüre, wie ich innerlich zu frieren beginne,
wie eine entsetzliche, endgültige Kälte heraufkriecht. Ich
gebe mich diesem Eindruck hin, entspanne mich.
Draußen entsteht ein Geräusch, wie das kraftvolle Tosen
und Rumoren
eines aufziehenden Sturms. Seit Jahrzehnten habe ich einen solchen
Ton nicht mehr gehört, doch ich erkenne augenblicklich, was er
zu bedeuten hat. Er kündet von imposanter Technik, von mächtigen
Maschinen, vom flammenden Inferno gesteuerter Korpuskularströme.
Ein Raumschiff!
Ich kann es nicht fassen, öffne hastig die Augen, sehe die
blitzende Kugel, die sich sanft herniedersenkt. Meine Gedanken sind
verwirrt. Ich glaube an eine Halluzination, an Gestalt gewordene
Traumbilder und Sehnsüchte. Vorsichtig richte ich mich auf,
starre mit brennenden Augen nach draußen.
Es ist Realität! Kaum zweihundert Meter von meinem
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